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«Viriditas – Grünkraft!»

 

Laudatio gehalten anlässlich der Vernissage des Buches «mächtig stolz. 40 Jahre feministische Theologie und Frauen-Kirche-Bewegung in der Schweiz» am 11. Mai 2022 in der Offenen Kirche Elisabethen Basel

 

Evelyne Zinsstag

 

«mächtig stolz» lautet der Titel dieses Buches, das ich heute loben darf. Mächtig stolz, das dürfen sie sein, die Schwestern Doris und Silvia Strahm, die dieses Buch gemeinsam mit Monika Hungerbühler konzipiert und dann zu zweit erarbeitet haben. Auch wenn sie bei dieser Arbeit, wie sie betonen, von verschiedenen Seiten Unterstützung hatten – ohne ihr beharrliches Dranbleiben, ohne ihr sorgfältiges Zusammenweben der vielen Fäden feministisch-theologischer Geschichte und Geschichten, hielten wir diese detaillierte Zusammenschau von gut 40 Jahren feministischer Theologie heute nicht in Händen. Dafür verdienen sie es, ausgiebig gelobt und gefeiert zu werden! Bravo!

 

Vierzig Jahre, das ist die Dauer eines Exodus. Gut vierzig Jahre ist es her, seit der Begriff «feministische Theologie» im deutschsprachigen Raum erstmals ausgesprochen wurde. Frauen standen auf, brachen auf, machten sich auf die Suche nach einer neuen Form der Spiritualität, nach Sprache und Struktur, die Frauen entsprechen, nach Wegen, die Kirchen lebensfreundlich zu machen. Von all diesem erzählt dieses Buch. Es gleicht einem Atlas – einem Atlas der Frauen-Kirchen-Räume, die sich in den letzten 40 Jahren geöffnet, verbunden, getrennt, verwandelt und auch wieder geschlossen haben.

 

Dieser Atlas bietet einerseits eine lesbare Einführung in die verschiedenen Bereiche der feministischen Theologie in der Schweiz, für alte Pilgerinnen zum Erinnern und Schwelgen, für junge Sucherinnen zum Schnuppern und Beäugen. Auf der anderen Seite gewährt er Einblicke in das persönliche Erleben und in die Beziehungen zwischen den damals und heute beteiligten Frauen, Schwestern, Gefährtinnen. So kann die Leserin sie auf einem Stück des Weges, den sie gegangen sind, begleiten – und kann mit ihnen auf die Gegenwart blicken und sehen, was von damals heute noch nachklingt, was geendet hat und was heute aufgeht, wo vor Jahren fleissig gesät wurde.

 

Dieser Atlas besitzt eine sinnvolle Struktur, die von den katholischen und reformierten Bildungshäusern bis zu punktuellen Projekten wie die Aktion «Gleichberechtigung. Punkt. Amen» anlässlich des Frauenstreiks 2019 führt. Innerhalb der verschiedenen Kapitel sind die Beiträge chronologisch nach der Entstehung der vorgestellten Aktivitäten geordnet, was der Leserin erlaubt, die Entwicklungen innerhalb der jeweiligen Bereiche nachzuvollziehen. Angefangen bei den grossen Institutionen Paulus-Akademie und Boldern, führt der Atlas in neun Kapiteln von «Orten des feministisch-theologischen Aufbruchs» über die «Frauen-Kirche-Bewegung» und ihre «Sprachrohre», über Forschung und Bildung auf Universitäts- und Kirchen-Ebene und über bestehende oder vergangene «Spirituelle Räume», zu den «Netzwerken», «Projekten und Initiativen» der Gegenwart.

 

Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Einführung und endet mit einem vielstimmigen Kommentar zum Vorgestellten. Dazu steht am Ende jeden Kapitels das Selbstporträt einer feministischen Theologin, sodass die Leserin neun Frauen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Werdegänge kennenlernt (von Geneva Mosers Selbstporträt stammt übrigens der Titel dieses Textes). Diese Frauen geben der feministischen Theologie ihre verschiedenen Gesichter: Sei es das einer alten Pionierin oder das einer jungen Theologin, einer engagierten Aktivistin oder einer weisen Denkerin. Zahlen und Fakten stehen neben den anschaulich geschriebenen Texten, und Bilder zeigen die kon­zentrierte Arbeit, die bunten Feiern und die schlichte Freude am Zusammensein der vielen Frauen, die in den letzten vierzig Jahren die feministische Theologie in der Schweiz vorangetrieben haben.

 

Zur Vorbereitung auf diese Rede wollte ich erst im Buch blättern, um mir einen Überblick zu verschaffen. Nichts da: Kaum eine Seite lässt mich vorbei, ohne dass ich irgendetwas Spannendes auf ihr entdecke – insbesondere auch in den Beiträgen zur feministischen Theologie in der Romandie und im Tessin. Die Fülle an sorgfältig zusammengetragenen Veranstaltungstiteln, Tagungsbeschrieben, internationalen Persönlichkeiten und lokalen Pionierinnen führt mich immer weiter ins Dickicht dieses blühenden Waldes, in dem ich immer wieder vertraute Namen und Ereignisse in Verbindung mit noch unbekannten Orten entdecke. Oder auch umgekehrt: Ich staune, wie viel Frauenkirche in der Leonhardskirche steckt, wo ich heute als Pfarrerin arbeite. Etwa das Labyrinth von Agnes Barmettler auf dem Kirchplatz. Oder die Frauengottesdienste, die 1988 unter dem Namen «Frauen unterwegs» in der Krypta ihren Anfang nahmen und die heute in der Elisabethenkirche weiter gefeiert werden.

 

Vierzig Jahre, das ist die Dauer eines Exodus. Ein Exodus, ein Aufbruch ins Unbekannte, das ist kein Spaziergang. Dieses Buch bezeugt auch dies: Viele der beschriebenen Initiativen gibt es heute nicht mehr. Projekte scheiterten, zumindest an ihrem ursprünglichen Ziel, wie etwa das «Projekt Frauentheologie», das eine feministisch-theologische Professur an der theologischen Fakultät Basel einrichten wollte. Aus den Beiträgen lässt sich Trauer und manchmal auch Enttäuschung spüren, über nicht erreichte Ziele, nicht gefundenes Gehör, über Türen, die sich wieder geschlossen haben oder sich vielleicht gar nie öffnen liessen. Welchen Sinn hatte die ganze Mühe? Wo stehen wir denn heute, gut vierzig Jahre seitdem die feministische Theologie hierzulande Einzug hielt? Sind wir denn heute angekommen, im «gelobten Land»? Manches ist heute besser als früher, ja. Frauen haben in Kirche und Gesellschaft vieles bewirkt und die feministische Bewegung hat jüngst wieder einen Aufschwung erlebt.

 

Die Zukunft der feministischen Theologie steht jedoch ebenso in Frage wie diejenige der Kirchen selbst, deren Mitglieder in unseren Breitengraden dramatisch schwinden. Demgegenüber stellen die Herausgeberinnen in der Einleitung fest: «Solange es die christlichen Kirchen als moralische Instanzen und Hüterinnen der Transzendenzfrage noch gibt, solange bleibt für all jene Frauen, die mit Energie und feministischem Impetus noch in den Kirchen und an den theologischen Fakultäten tätig sind, weiterhin genug zu tun.» Dieses Buch wird für die kommenden vierzig Jahre, in denen wir jün­geren Frauen die Kirchen und Fakultäten mitgestalten werden, eine gute Begleiterin sein. Eine die uns tröstet, wenn wir fallen, und uns Wege zeigt, wie andere Frauen, die vor uns da waren, wacker und tapfer vorangingen. Mit welchem Witz und welchem Wagemut sie loszogen und dem rauen Wind ihrer Gegenwart die Stirn boten.

 

Ja, die feministische Theologie ist und bleibt wichtig, gerade heute, wo wir so hilflos den politischen Geschehnissen in der Welt gegenüberstehen. Friedensarbeit, Care-Ökonomie, Ökotheologie, Interkulturalität, Ökumene, Queer- und postkoloniale Theologie: Sie alle wurzeln in der feministischen Theologie oder haben sich mit und dank ihr weiterentwickelt. Alle diese Ansätze leben fort und werden uns helfen, die Welt weiter so mitzugestalten, dass sie wohnlich für alle wird, dass sie weiter blüht und grünt, dass der Kriegslärm endgültig verstummt und dass die Hungernden gesättigt werden. Heute schreiben wir zusammen ein Stück dieser Geschichte fort, indem wir vierzig Jahre feministische Theologie in der Schweiz feiern. Auf die Herausgeberinnen, auf die Mitautorinnen, auf die stillen Unterstützer im Hintergrund, auf die Frauen, die uns vorausgingen und auf diejenigen, die nach uns kommen werden: Sie leben dreimal hoch! Hoch! Hoch!

 

 

© Evelyne Zinsstag, Basel, 11. Mai 2022