Stress

 

Stress ist normal, Stress ist gut, Stress schmeichelt uns, schafft persönlichen Mehrwert und sichert uns Respekt. Das scheinen wir zu glauben. Sagen tun wir es nicht, zumindest nicht laut. Im Gegenteil. Was wir sagen ist: „Ach!“ Und „oh je!“, „Ich bin furchtbar im Stress!“. Wir stöhnen es im Wegrennen, im Vorbeigehen, beim Neinsagen und Abschmettern unliebsamer Störungen. Viel zu wenig Zeit haben wir – leider – für alles, was wir tun möchten. Vor uns türmen sich Berge von Aufgaben, Pflichten und Wünschen. Wir sind sehr beschäftigt! Denn wir sind nützlich. Man braucht uns, wir sind gefragt. Aber unser Stolz versteckt sich hinter Klagen. Und unsere Klagen schaukeln sich aneinander hoch, überbieten sich gegenseitig. Zeit für einen Kaffee? Frag in zwei Monaten wieder. Für ein Abendessen braucht es ein halbes Jahr. Unsere Agenda ist voll. Unser Kopf auch. In unseren Körpern zirkulieren die Hormone ohne Unterlass. Damit wir den Belastungen standhalten, anstatt uns zu verkriechen.

 

Eine normale Reaktion, sagt die Wissenschaft. Wir funktionieren so. Wir sind praktisch immer auf der Flucht vor dem „Leoparden“, auch wenn der Leopard heute beispielsweise einen Anzug trägt. Wir haben zwei Möglichkeiten: angreifen oder fliehen. Für beides braucht es sehr viel Energie. Dafür werden Stresshormone ausgeschüttet. Das Herz schlägt schneller, Gehirn und Lunge werden besser versorgt, die Sinne sind geschärft. An und für sich ist das nichts Schlechtes. Der Körper versucht einfach, sich auf die verschiedensten Arten von Belastung einzustellen, ob auf  Kälte, Arbeitssituationen oder soziale Spannungen. Das Problem entsteht erst, wenn dieser Zustand anhält. Dass er anhält, liegt zum Teil an anderen, oft an uns selbst.

 

Noch ist uns zu helfen. Mit Stressmanagement. Tipps gibt es genug, wenn es an Einsicht nicht mangelt. Auch ein bisschen Selbstironie könnte nicht schaden. Unentbehrlich sind wir nicht und verloren gehen kann man auch sich selbst.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay