Sozialromantikerin

 

Ich bin eine Romantikerin. Schlimmer: eine Sozialromantikerin. Als Romantikerin erntete ich allenfalls Spott, ein paar bissige Bemerkungen zu kindlichen Träumen, Sonnenuntergängen und dem Hang zum Weichzeichnen der Realität. Auf die Sozialromantikerin hingegen wartet Verachtung.

 

Ein paar Tränen in „As it is in Heaven“, gut, verziehen, kann jeder passieren. Die grossen Gefühle und auch die zarten, die sind sicher schön. Am rechten Ort. Aber nicht draussen vor der Tür. Wo es um die harten Tatsachen geht, um Macht und Geld, um Gewinnmaximierung, Produktivitätssteigerung, Standortvorteile, Wettbewerb, Kapitalströme, Markterschliessung, Erhalt von Pfründen, Ressourcen und Einfluss.

 

Die wichtigsten Nachrichten stehen heute im Wirtschaftsteil, die wenigsten verstehen sie. Und das ist ganz gut so. Mit einem Minimum an Wissen lässt sich ein Maximum an Angst und Unsicherheit erzeugen. Und wer will, dass alles so flott und marktbereinigend fortschreitet wie bisher, hat auch gar nichts gegen RomantikerInnen. Sollen die Leute doch träumen, derweil man in Ruhe neu und freiheitlich die Welt den Gesetzen des Marktes unterwirft. Zu unser aller Wohl natürlich. Letztendlich jedenfalls.

 

Natürlich hat, wie bei jedem Glauben, auch das Opfer seinen zentralen Platz. Es wird nicht für alle gut ausgehen. Leider. Wer das nicht einsehen will, ist nicht informiert. Oder eben: SozialromantikerIn, was im Grunde das selbe ist, denn ein(e) SozialromantikerIn ersetzt Wissen durch Moral. Unfähig nach vorne zu schauen, redet sie vom Kapitalismus mit menschlichem Gesicht, will er ihn an die Leine „sozialer Marktwirtschaft“ nehmen – aber was, bitte, hat das Soziale mit dem Markt zu tun?  Soziale oder ökologische Vorschriften gelten gemäss WTO als Handelsschikanen. Boykott von hormonbehandeltem Fleisch, Teppichen aus Kinderarbeit, Tropenholz? Verboten! Wo käme der Markt hin, ginge alles menschlich zu und fair und nachhaltig. Und wir erst? Der Markt ist ein Hund, den man von der Leine lassen muss, sonst erwürgt man an ihn. Manchmal ist er ein Gott. Der alte, der, der Menschenopfer verlangt.

 

Wer von Postreligiosität spricht, hat keine Ahnung. Gläubige sind wir nach wie vor. Den modernen Hirten gehorchend, wie Schafe, froh, wenn uns der Wolf erst morgen holt.

 

Auch wer dagegen hält, glaubt. Aber ein wenig andersrum. Mit Romantik hat das nichts zu tun, aber mit dem Glauben an die Möglichkeit menschengerechte(re)n Handelns und Verteilens, und dass es für alle reichte, wenn man es nur wollte. Und wenn zum Wollen die Phantasie hinzukäme, die dem Wollen zeigte, was getan werden kann. „Wohin kämen wir bitte, wenn wir nur immer Idealen nachhängen würden?!?“, schrieb einst Peter Altenberg, „Zu den Idealen!“

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay