Sonntagszeitung

 

Der Sonntag und die Zeitung mochten sich nicht. Unvereinbare Charaktere, könnte man sagen. Der Sonntag war von eher träger Natur. Antriebsschwach, nicht sonderlich neugierig, ein Faulenzer eben. Oder anders gesagt: ein Geniesser. Nicht, dass er die ganze Zeit mit Nichtstun verbracht hätte. Er unternahm durchaus etwas. Aber in gemächlichem Tempo, den Sinnen zugetan, pflichtvergessen, frei zu tun, was ihm gut tat. Sollte die Seele baumeln, baumelte sie. Sollte ein Gipfel erstiegen werden, wurde er erstiegen. Alles war möglich, aber nichts war notwendig. Die Zeitung hingegen, die war hyperaktiv. Immer auf Draht, die Augen überall und immer weit offen. Schnappte hier etwas auf und dort und mehr noch: Sie sammelte nicht nur, sie verarbeitete es auch. Sie dachte nach. Und sagt weiter, was sie dachte. Erklärte uns täglich die Welt. Uns selbst. Das, was dahinter steckt. Wir sollten es wissen. Sie schenkte uns nichts. Habe ich schon gesagt, dass sie raffiniert war? Sie war raffiniert! Irgendwie schaffte sie es, den Sonntag für sich zu gewinnen. Die Methode? Keine Ahnung. Ihre attraktive Aufmachung vielleicht? Und dass sie einfach immer da war? Sich bei ihm unentbehrlich machte? Und er? Einfach zu träge, um Nein zu sagen? Schliesslich war sie ja nicht uninteressant und Zeit hatte er zur Genüge. Sicher ist nur: Sie wurden ein Paar und sind seither unzertrennlich.

 

So unzertrennlich, dass man den beiden den Übernamen SonntagsZeitung gab.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay