Schiff Ahoi – oder die Wonnen der Verantwortungslosigkeit

 

„Niemand ist eine Insel“, heisst ein Buch von Johannes Mario Simmel. Niemand ist eine Insel – viele möchten es manchmal dennoch gerne sein und gönnen sich den unerhörten Traum von Unabhängigkeit. Kein Teil sein von nichts. Nur für sich. Ohne Verantwortung, ausser fürs eigene Überleben und das Überleben jener, die man zu den eigenen zählt. Inselträume tauchen immer wieder auf, wie Blasen – imaginiertes Glück abseits der Welt, in der man nie ganz zu Hause ist.

 

Der geschälte Mensch

 

Seit Kopernikus, schreibt der Philosoph Sloterdijk (1), ist es für den Menschen vorbei mit seiner „kosmologischen Schosslage“. Die Zentralposition im Weltall ist verloren, durch Forschung und Bewusstwerdung hat er sich selbst ins Exil geschickt und sich aus seinen selbstgesponnenen Illusionsblasen ins Sinnlose, Unbezügliche, Selbstbezügliche ausgebürgert. Der Mensch ist ein Kern ohne Schale geworden, hüllenlos steht er im Raum, nachdem die himmlischen Gefässe zerbrochen sind. Das Immunsystem Himmel ist nicht mehr zu gebrauchen und muss durch technische Sicherheitsstrukturen ersetzt werden. Die grosstechnische Zivilisation, der Weltmarkt, der Wohlfahrtsstaat, die Mediensphäre, schreibt Sloterdijk, zielen auf Nachahmung der unmöglich gewordenen imaginären Sphärensicherheit. Netze und Versicherungspolicen treten an die Stelle himmlischer Schalen. Gott wird im Humankönnen wiederholt. Der geschälte Mensch, ausgesiedelt in die Markt-Aufklärung, hüllt sich enttäuscht, erkältet und verwaist in Surrogate von älteren Weltbildern, solange diese noch einen Hauch von der Wärme altmenschlicher Umgriffenheits-Illusionen in sich zu tragen scheinen.

 

Die Menschen gibt es nicht

 

Die Menschen aber gibt es nicht. Die groben Linien zeigen etwas und verbergen viel. Der geschälte Mensch ist eine Metapher, beunruhigend, erhellend, aber nicht alle Menschen sind bar jeglicher Himmelshaut. Noch immer gibt es, oder gar zunehmend gibt es Menschen, die haben nicht nur solch eine Haut, die stecken in einer Hülle aus dickem Gottespelz, beseelt und erwärmt von der Vorstellung, die ganze Welt damit neu einzukleiden. Die schauen voller Zorn und Verachtung auf all jene, deren Nacktheit lediglich mit einer dünnen und fragilen Schicht aus Vernunft und Vorläufigkeit bedeckt ist oder die sie offen zur Schau tragen, in den Händen Koffer voller Geld, Zynismus und Selbstgefälligkeit.

 

In der Welt nicht ganz zu Hause

 

Kaum jemand ist in der Welt ganz zu Hause – denn alle müssen sie einmal verlassen. Es ist eine Wohnung auf Zeit. Man weiss, es wird einem dereinst gekündigt werden. Um damit fertig zu werden, gibt es Kompensationen, die sind so verschieden, wie Menschen nur sein können. Man kann sich in sich selbst versenken, sich ins Leben stürzen; man kann konsumieren, beten, forschen, lieben, arbeiten, gestalten, regieren, töten. Man kann versuchen, das Beste für sich herausholen, man kann versuchen, die Welt so zu gestalten, dass sie im Leben Leben ermöglicht. Man kann dies nüchtern tun, vernünftig, menschengerecht, man kann es voll Eifer tun, besessen, keine Opfer scheuend – vor allem nicht das der anderen. Und dazwischen, zwischen vernünftigem Kalkül und besessener Arroganz, gibt es einen immensen Raum an Abstufungen aller Art, der reicht von Romantik, purem Eigennutz, Pragmatik, selbstloser Menschenfreundlichkeit bis hin zu rigorosem Utopismus.

 

Neue Welten

 

Neue Welten, Utopien, Nicht-Orte, Wunschorte, virtuelle Welten, Fiktionen – der Welt fehlt es nicht an Ideen, um immer wieder neue Ordnungen zu schaffen in einer Welt, die nie in Ordnung ist. Es fehlt ihr nicht an Experimenten, weder im Kopf, auf Papier noch in der Realität. Es fehlt ihr höchstens an Respekt vor der Wirklichkeit, die in kein Ideenkorsett passt. Zum Glück gelangt nicht jeder Gedanke auf Papier und wird nicht jede Schrift in der Realität nachgestellt. Ideale Welten, mit nichts anderem ausgestattet als mit nicht idealen Menschen, die man zum Idealen zwingt, kennen wir zur Genüge. Das vergossene Blut ist noch nicht getrocknet, während bereits neues fliesst. Auch Ideologien zum Wohle aller, die auf ihrem Weg zum Ziel notgedrungen Opfer kosten, sind uns nicht neu. Gerne würden wir den Wert einer Idee an den Opfern, die sie kostet, messen. Noch lieber hätten wir selber Ideen, Ideen des Guten, die, was ist und was es gibt zum Wohle möglichst vieler zu verbessern und neu zu verteilen wüssten. Dass das schwierig ist, wissen wir. Dass es uns nicht an Einsicht fehlt, aber an Macht und Mitteln, wissen wir auch. Und dass wir nicht einfach zu den Guten gehören, sondern selbst Profiteure des Unrechts sind, braucht uns niemand mehr zu sagen.

 

Nicht alle jedoch sind von solchen Skrupel geplagt.

 

Inselbewohner

 

Der Welt eine neue, ideale Gestalt zu geben und, ist sie nicht willig, sie notfalls mit Gewalt zu ihrem Glück zu zwingen, gehört zu den bevorzugten Variante der Weltverbesserung. Nicht alle, die Macht und Mittel besässen, verspüren aber gleichzeitig auch den Wunsch, die Welt besser zu machen. Das kann einen je nachdem durchaus erleichtern. Dass sie sich aber via goldene Hintertreppe aus der Welt stehlen, war damit nicht gemeint. Und doch gibt es sie, die Träume und Versuche von Superreichen, sich von der Welt abzukoppeln. „Sie suchen grenzenlose Freiheit“, heisst es in der ZEIT, Dotcom-Unternehmer, Finanzjongleure und andere Trendsetter der Globalisierung zieht es auf schwimmende Plattformen und ferne Eilande. Unbehelligt von Recht und Gesetz, können die neuen Staatenlosen dort via Internet ihren Geschäften nachgehen.“(2)

 

Sie verschanzen sich nicht länger in Villenanlagen, hinter Mauern und Sicherheitszäunen, sie ziehen sich inzwischen beispielsweise auf Schiffe zurück, auf denen es alles gibt, was einer handverlesenen Kundschaft begehrlich Herz begehrt. Eines dieser Schiffe heisst World of ResidenSea und lag, gemäss Zeit-Artikel, im April 2001 vor der Küste Norwegens. Im Mai 2002 soll es dann tatsächlich in See gestochen sein. Es gibt darin 110 Eigentumswohnungen (bis zu 7,5 Millionen US-Dollar kann eine kosten), zwei Schwimmbäder, Restaurants, Cafés, Tennisplatz, Konzerthalle für klassische Musik, Supermarkt, Wäscherei, Operationssaal, Kanonen gegen Piratenschiffe, Gästezimmer für Geschäftsfreunde und Personal. Den Geschäften kann man nachgehen wie in jedem Büro multinationaler Konzerne. Denn das Schiff soll kein schwimmendes Altersheim werden, es soll einen neuen Lebens- und Arbeitsstil begründen. Nur die Idee, dieses Schiff zu einer Steueroase zu machen, scheiterte bisher. Nach wie vor gelten auch auf dem Schiff ein Mix von Gesetzen, verwirrlich manchmal, da sie alle nicht für dauerhaft auf dem Meer Wohnende geschrieben wurden. Aber vielleicht wird das ja noch, je mehr Schiffe es gibt. Schon Ende 2001 wurde ein weiteres geplant mit dem Namen Freedom Ship. Hier zahlt man keine Steuern und staatliche Gesetze gelten nicht, da es sich allein in internationalen Gewässern aufhalten und niemals einen Hafen anlaufen will. Sie soll 1,3 Km lang, 220 Meter breit und 100 Meter hoch sein, diese abgeschottete Insel für Reiche. Ursprünglich wollte man eine Insel der Bahamas zu einem Domizil für Wohlhabende ausbauen, wegen Regierungswechsel scheiterte der Plan und man beschloss, eine schwimmende Stadt zu projektieren, einen insularen Freistaat für Bürger, die sich „nach Seelenfrieden, Sicherheit und ökonomischer Freiheit“ sehnen. (Aktuelle Informationen dazu im Internet unter „Schwimmende Inseln“). Insula heisst ein weiterer solcher Traum. Insula ist eine Insel aus Stahlbeton, soll vor Monaco zu liegen kommen und verwirklicht Jules Vernes Idee von der  „Insel der Milliardäre“. Bereits 1895 entwickelte er in Gedanken jene stählernen Inseln und schwimmenden Städte im Meer, auf denen die Superreichen durch die Schönwetterzonen der Ozeane gefahren wurden. Heute sind diese Ideen technisch machbar geworden. Natürlich sind bereits die bestehenden insularen und anderen Steueroasen ähnlich dienstbare Gebilde für die Reichen dieser Welt, aber die Idee, sich auf Schiffen, Inseln und schwimmenden Städten unter seinesgleichen einzurichten und den Belange der restlichen Welt den Rücken zu kehren, abgesehen davon, dass man in ihr Geschäft und Beute macht, ist dreist. Sagt unsereins. Wer hat, dem wird gegeben, sogar eine Insel. Endgültige Sicherheit gibt es zwar nicht, der Tod immerhin findet die Leute auch dort. Aber in der Zwischenzeit hat man’s dort ganz schön schön. Und die Welt verbessern, ja das mache, wer nicht anders kann. Und überhaupt. Selbst der Messias hat es aufgegeben. Oder etwa nicht? „Es bringt eh nichts, die Welt verbessern zu wollen. Sie ist, wie sie ist. Der Messias persönlich würde sie nicht ändern können. Der Beweis? Er will erst am allerletzten Tag wiederkommen.“(3)

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

(1)  Peter Sloderdik, Sphären I. Blasen. Frankfurt a.M. 1998

(2)  Thomas Fischermann, Flucht in den Cyberspace, Zeit-Dossier, 19.04.01, 11f.

(3)  Jasmina Khadra, Herbst der Chimären, Innsbruck 2001

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay