Lebensgefährlich

 

Es gibt keine Station Himmelreich. Nimmt man den Bus Nr. 18 kommt man nicht hin. Aber ins Friedental. Mit der allergrössten Sicherheit. Für viele sind sie dasselbe, der Friedhof und das Himmelreich: das Glück der Endstation. Die Möglichkeit, sich für immer zu verabschieden und nicht mehr zu sein.

 

Es gibt keine Station mit Namen Himmelreich. Nur die Vorstellung davon.

 

Aber es gibt sie überall, die grossen Erzählungen von dem, was uns am Ende des Lebens erwarten könnte, erwarten sollte – oder eben auch nicht. Von beidem wird uns erzählt: Vom Anfang am Ende, vom Beginn von etwas Neuem und vom Ende ohne Anfang, dem mutigen Anerkennen des eigenen Endes. Etwas anderes zu glauben gilt als Verweigerung der realen Welt, als Flucht in die Phantasie, die uns fortdenken und ein weiteres Leben gönnen will.

 

Das Himmelreich, von dem das Bild spricht, erzählt etwas anderes. Es liegt nicht am Ende der Strecke, sondern mittendrin. Es ist keine Phantasie gegen den Tod. Sondern eine für das Leben, das jetzt stattfindet. Es widerspricht der Vorstellung, dass der Himmel beginne, wo das Leben ende.

 

Ostern erzählt auch davon, es erzählt von einem Mann, der sprach vom Himmelreich auf Erden. Das kommen wird, weil es kommen muss. Ohne allen süssen Trost, und nicht mit abgewandtem träumerischem Blick, eher im Gegenteil: im genauen Hinsehen. Im Benennen des Unrechts. Und wer es tut. Und wem es nützt. Im Benennen des Schmerzes. Und im Verlangen nach dessen Ende. Im Namen des Gerechten und der Liebe, die dem Nächsten gilt so wie einem selbst.

 

Das zu tun – so zu leben und zu handeln, dass sich der Himmel mit der Erde verbindet, ohne Gewalt und in aller Sorgfalt –, kann das Leben gefährden. Bis heute.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay