In die Erde fallen

 

Der Satz klingt nicht nach Schwerkraft, sondern nach Poesie. Als ob etwas wartete, mit offenen Armen.

 

Auf die Erde fallen klingt nüchterner. Etwas fällt herunter. Vielleicht hebt jemand es auf. Vielleicht bleibt es liegen. Vielleicht entsteht etwas daraus, vielleicht nicht.

 

In die Erde fällt wenig von alleine. Regen vielleicht. In die Erde tut man etwas. Man gräbt Löcher, zieht Furchen, wirft etwas hinein, schiebt eine Schicht Erde darüber. Man nennt es säen, man nennt es ernten. Und ohne dies wären wir nicht.

 

Das wissen wir, und wissen es nicht. Die meisten von uns wissen es nicht. Nicht so, dass es etwas änderte. Uns die Dinge anders sehen liesse und die Schwerpunkte verschöbe. Zu Staunen und Respekt. Dass da überhaupt etwas geschieht, unter der Oberfläche, und am Schluss ist es Nahrung und Genuss. Notwendiges und unentbehrliche Schönheit. Das Brot und die Rosen.

 

Das Alltagswunder: Weizen, Kartoffeln, Trauben. Ein grösseres Wunder: Es käme allen zugute.

 

Das lernen wir anders. Das Alltägliche nennen wir gewöhnlich. Die vollen Gestelle normal. Schwierigkeiten bereitet uns die Wahl. Dass das alles für alle reichte, ist wahr. Dass es nicht so weit kommt, dass es für alle reicht, raubt uns dennoch nicht den Schlaf. Unsere Haut ist dick, und die uns das vorwerfen, sind nicht besser als wir. Auch sie essen  ihr Brot und den Kuchen dazu.

 

Das ist in Ordnung. Die Sache mit dem Brot und dem Kuchen. Nur Recht ist es nicht. Es gibt Zeiten, wie diese, die erinnern daran, dass man sich ab und zu auf den Kopf stellen müsste, um die Welt richtig zu sehen, um zu sehen, wie verkehrt vieles ist.

 

Den Blick unter die Oberfläche riskieren – zum Dunkel, aber auch zu den Wurzeln, die Wachsen bedeuten und Stillstand zugleich.

 

„Wer es könnte

die Welt hochwerfen

dass der Wind hindurchfährt.“

(Hilde Domin).

 

Das wäre wie Frühling, wie Ostern.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay