Genug

 

Ein ganz einfaches Wort. Ohne Erklärungsbedarf. Und ein Fremdwort. Als hätte man es noch nie gehört. Vielleicht nicht nur fremd, sondern falsch. Weil es genug nicht gibt.  Weil das Verlangen nie aufhört. Das Verlangen nach anderem, nach mehr. Weil wir nur so in Bewegung bleiben. Weil genug hiesse: sich hinsetzen, die Hände im Schoss, wunschlos glücklich. Was nicht genügt, nicht in einer Welt, in der alles wachsen muss, und vieles  zugleich abnimmt, vor allem, so scheint es, der Mensch an Verstand.

 

Was man nicht sagen sollte. Weil es schon genug gesagt wurde. Tagtäglich hört man es, liest man es, jammert man es einander vor. Dass die Welt ein beängstigender Ort ist, dass alles immer schlimmer wird, dass wir uns Sorgen machen müssen und uns die Augen zum Wegschauen gegeben sind. Weil wir genug gesehen haben und den Kopf doch schon die ganze Zeit einziehen und uns schämen.

 

Niemand soll uns, wie ungezogenen Kindern, auf die Finger klopfen, wenn es uns nach mehr verlangt. Wenn wir ohne nachzudenken ins Gestell langen, unsere Schränke füllen, die Boni einstreichen, in die Seychellen fliegen, einfach so, mal zwischendurch. Weil es dort schön ist. Und warm. Und wir uns doch auch was gönnen dürfen.

 

Und worum geht es eigentlich? Genug wovon? Schuhen? Joghurts? Flüchtlingen? Terrorbildern? Autoverkehr? Verantwortung? Sozialhilfeempfängern? Geldsorgen? Stress? E-mails? Ausreden? Genug im Sinne von „die Nase voll davon“, genug im Sinne von Besitzen, oder von Problemen?

 

Im Grunde wissen wir, worum es geht. Was genug meint. Und dass es Sinn machte, in vielen Bereichen, halt zu sagen, und: es reicht. Lassen wir es dabei. Mehr von allem ist nicht mehr, sondern nicht gut genug. Weil wir etwas anderes wollen. Etwas, wovon es nie genug gibt: Ideen und Phantasie um zu verändern, was uns allen nicht genügt – die Welt, wie sie ist und wird. Mut, um das, was wir wissen, auch zu tun und die Schuldigen beim Namen zu nennen, wenn nötig auch uns. Einsicht, dass Glück niemals verdient ist und kompensiert gehört.

 

Ostern aber ist ein Fest der Masslosigkeit. Nicht wegen der Schokolade, sondern weil es nicht akzeptiert, dass der Tod dem Leben ein GENUG ans Ende setzt. 

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay