Eine feste Burg

 

Keine Frauenordination! Keine Interkommunion! Keine verheirateten Priester! Respekt! Da stemmen sich aufrechte Männer mit nicht ermüdender Kraft gegen den Geist der Zeit, der vor kaum etwas Halt macht, was bisher Jahrhunderte überdauerte. Dazu braucht es ein beeindruckendes Mass an Verdrängungskunst. Also mit vereinter Kraft Fenster zu und Türen verbarrikadieren. Am Eingang gelten strenge Sicherheitsmassnahmen. Auch Köpfe sind beim Eintreten zu leeren. Es könnte sein, dass sonst gefährliche Gedanken die Schranken passieren. Das möchte man vermeiden.

 

Der Geist der Zeit ist ein Freigeist. Und mit solchen Geistern hat man keine guten Erfahrungen gemacht. Man hat schliesslich selber einen im Haus. Der ist nicht leicht zu ertragen. Der hat seine Unarten. Schweift umher, wirbelt Staub auf, bläst Keime neuartiger Gedanken in die schweren Vorhänge, die das Mobiliar vor allzu viel Licht schützen.

 

Im Haus selber hat sich seit den Anfängen nicht viel verändert. Die Einrichtung ist mehr oder weniger die selbe geblieben. Ein paar Konzessionen an die Jahre, die dennoch vergehen, wurden gemacht. Aber die sind minimal. Natürlich gehen die Bewohner ab und zu vor die Türe ihrer Glaubensburg.  Schauen sich die Welt an. Geben ihr gute Ratschläge, reden ihr ins Gewissen. Aber auch diese eifrige Reinigungsbrigade kriegt den Schmutz nicht aus der Welt, träg ihn manchmal an den Schuhen ins eigene Haus zurück. Und muss ihn nachher mühsam unter den Teppich kehren.

 

Natürlich ist die Aufgabe dieser Glaubenswächter schwer. Und die feste Burg auf dem Fels ist manchmal eine Last. Unbeweglich und massig thront sie inmitten einer Welt, die es nach Leichtigkeit verlangt. Und die die vergänglichen Freuden des Fleisches der Festigkeit des Steines vorzieht.

 

Der Geist der Zeit zieht am alten Gemäuer vorbei. Noch hält es stand. Man wird bloss den Verdacht nicht los, dass der geheimnisvolle Schatz, den es bewahren will, längst verschwunden ist.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay