Alles wie gehabt

 

Vergessen können hilft beim Leben. Über die Runden, die anstrengenden, kommt man leichter, wenn man das Schwere liegen lässt und nach vorne schaut. Kopf, Herz und Rücken sollte man nicht strapazieren mit allzu viel Gepäck. Die Botschaft ist bekannt, und auch der Glaube nicht weit. Bloss kann es einem trotz Vorwärtsschauen passieren, dass man nicht weiterkommt. Und man realisiert, dass der Boden, der unter den Füssen auftaucht, so neu nicht ist. Die Risse und sumpfigen Stellen gleichen sich. Überall die selben Steine, denen auszuweichen nicht immer gelingt. Der Orientierungslauf durchs Lebensgelände ist auch mit Karte und Kompass und ein paar Erfahrungen ein mühsames Unterfangen. Nehmen wir einmal an, die Läuferin ist eine Frau. Bereits beim Start ist sie zwar nicht chancenlos, aber doch gebärmütterlich handicapiert. Schon die erste Weggabelung macht ratlos – einen Zwischenstopp einlegen bei Kind und Familie oder weiterlaufen? Kondition aufbauen für den Aufstieg, wo der Weg eng wird und der Lauf zu stocken beginnt? Kommt man durch, vorbei, hinauf? Fragen über Fragen. Während man rennt. Stillstehen und nachdenken geht nicht, Stillstand ist tödlich, jedenfalls fürs Vorwärtskommen. Was nur logisch ist. Auch für Frauen, die diese Logik langsam kapieren.

 

Was die Frauen dabei vergessen: Sie sind nach wie vor Untermieterinnen in der Welt. Dass das ganze Haus zu gleichen Teilen auch ihnen gehörte, ist ein Hirngespinst. Die Herren verhandeln die interessanten Anteile an der Welt in allerlei Männerbünden nach wie vor unter sich. „Noch niemand konnte mir vernünftig sagen, was Frauen in der Politik verloren haben – oder überhaupt im Berufsleben“, liess unlängst ein Luzerner Regierungsrat verlauten. Die hundertzwanzig anwesenden Männer klatschten und johlten. Frauen vergessen zu schnell und verwechseln Gleichheitsrhetorik mit der Realität. Das ist verständlich, aber fatal. Das Aufwachen könnte sehr sehr unangenehm werden.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Essay