Dagegenhalten

 

Der Mensch ist einer, der muss immerfort raffen. Als hätte er Taschen sogar unter der Haut. Die sieht man nicht, aber vielleicht sind sie trotzdem da. Er muss sie füllen. Vor allem mit Geld. Hat er eine Million, braucht er zwei. Hat er vierzig, braucht er achtzig. Und so weiter und so fort. Das Geld, das hortet er. Es gehört ihm. Er hat ein Recht darauf. Meistens hat er es geerbt. Manchmal selbst verdient. Oft hat er es sich und seinesgleichen zugeschoben, öffentlich und ganz legal. Ab und zu hat er es mit scheusslichen Dingen erworben, manchmal mit Nebensächlichkeiten, wie Fussballspielen oder Autorennfahren. Hat er viel, so wird ihm noch viel mehr gegeben. Oder auch gelassen – als Steuererleichterung, Steuerpauschale und Steuerschlupfloch. Es gibt sogar Steueroasen und Steuerparadiese. Für verfolgtes Geld. Nicht nur Armut gebiert Flüchtlinge, auch Reichtum. Für die Ersteren gibt es Zäune, für die Letzteren Banken. Die Welt gehört den Reichen. Viel komplizierter ist es wirklich nicht.

 

Und doch kommt unsereins aus dem Staunen kaum heraus. Nicht nur darüber, dass hier unentwegt gerafft, angehäuft, weggeschafft und versteckt wird, sondern auch über das Achselzucken, das die Empörung nahtlos ersetzt. So funktioniert das eben, sagt man mir, mit einem mitleidigen Lächeln. Sich aufzuregen zeugt von Naivität. Und Naivität ist etwas für Kinder. Und bin ich ein Kind? Eben!

 

Aber Empörung ist kein Spielzeug, dem man irgendwann entwächst. Sie ist eine treue Begleiterin. Sie ist laut. Sie ist hartnäckig. Sie klopft einem auf die Finger, rüttelt einen wach, schickt einen nachschauen gehen, was rundum geschieht. Sie legt einem alte Worte in den Mund, damit sie nicht plötzlich verschwinden. Gerechtigkeit, Solidarität, ein gutes Leben und wie sie alle heissen mögen.

 

Vernünftig sind vielleicht die RealistInnen, aber selig die Einfältigen. Sie behalten ihre Ideale. „Wohin kämen wir bitte, wenn wir nur immer Idealen nachhängen würden?!?“, schrieb einst Peter Altenberg, „Zu den Idealen!“

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2013 / Essay