Was bleibt?

 

Was für eine Frage. Unangenehm direkt. Bedrückend aktuell. Auch wenn sie sich immer stellen liesse, die Frage nach dem, was Bestand hat. Oder dem, was genommen wird, verloren ist, zerstörbar und unzweifelhaft vorläufig. Unsicherheit ist der Boden, auf dem alles steht. Lebenspläne so gewiss wie Häuser. Eine Tatsache, mit der man nicht leben kann. Nicht immer. Die jedoch nur die nächste Katastrophe weit entfernt ist. Bis zum nächsten Verlust hin, der nie erwartet wird. Was bleibt? Es ist eine Frage, bei der man Schale um Schale wegnimmt von dem, was verzichtbar scheint. Und hofft, auf etwas zu treffen, ein Gerüst vielleicht, das alles hält, einen verbleibenden Kern, der unzerstörbar ist. Etwas wie ein Schatz voller Dinge, die einen im Leben halten. Vielleicht nennt man diesen Schatz Liebe und Freundschaft, vielleicht Neugier und Verantwortung, vielleicht auch Selbstachtung, Stolz und die damit verbundene Fähigkeit, auszuhalten; hinzufallen, aufzustehen, weiterzugehen. Vielleicht gehört zu diesem Schatz aber auch etwas, das weiträumiger ist, Teilhabe an etwas meint, das allen gemeinsam, wesentlich und unverzichtbar ist. Hunderttausende mutige Menschen lehrten es einen diesen Frühling erneut, was zum Wesentlichen gehört und dass es unzerstörbar ist, das Verlangen nach Freiheit und Würde, nach Gerechtigkeit, nach der Möglichkeit, sein Leben selber zu bestimmen und den Raum mitzugestalten, in dem man lebt. Dass es so wichtig ist wie der Wert des eigenen Lebens, das man dabei nicht schont. Bei allem Schrecken ist das ein wenig Licht, wie verschwindend klein es auch sein mag angesichts des Dunkels, das es zu oft verbirgt. Und doch leuchtet es unbeirrt.

 

Was bleibt? Die Frage ist schonungslos. Und die eigenen Antworten vorläufig. Ob sie bestehen, zeigt sich erst, wenn die Frage ganz nah ist, wenn sie ans Verlieren gebunden ist, wenn sie unerbittlich ist und unumgänglich. Was bleibt ist die Hoffnung, dass etwas bleibt, etwas von dem, was kostbar ist und dem  Leben innewohnt wie ein noch nicht eingelöstes Versprechen.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2011 / Essay