Love life

 

Liebe das Leben! Das klingt gut, übermütig beinahe. Wie Sommer – mit viel Sonne, warmem Wind, draussen sitzen, einem Glas Wein, reden, viel Gelächter – alles entspannter als sonst, gegenwärtiger, den Sinnen verschrieben. Das Leben lieben. Und dann erst an den Tod denken. Den möglichen Tod, den allgegenwärtigen Tod.

 

Love life und dann erst Stop Aids. So will es die neue Aids-Kampagne. Nicht weil man krank werden und andere krank machen, auch nicht weil man sterben kann, soll man(n) ein Kondom überstreifen, sondern weil man das Leben liebt und es auch leben will. Natürlich ist das eine vertraute Erziehungsstrategie: Motivation anstelle von Drohung, das Versprechen eines Gewinns anstatt die Propagierung eines Verzichts. Das macht die Strategie nicht schlechter. Auch nicht einfacher. Botschaften mittels Furcht zu verbreiten ist leichter. Ihre Bewirtschaftung ist erfolgversprechend. Furcht rentiert und zahlt sich aus. Sie macht unsicher, bescheidener, sie lässt den Gürtel enger schnallen, sehnt sich nach Schuldigen, vertraut einfachen Lösungen, wenn sie nur Besserung versprechen.

 

„Liebe das Leben“ klingt auf Anhieb einfach und ist doch reichlich kompliziert. Als ob man plötzlich aus der Enge ins Weite gerät, wo alles möglich scheint und nichts mehr fest. Bloss da zu sein, ist nicht gemeint, aber die Lust dazu. Die leidenschaftliche Teilhabe an der Welt, offen sein und wach für das, was ist und kommt. Neugier auf sich in neuen Umständen, Überschwang und etwas Unbesonnenheit und das Risiko, nirgends wirklich zu Hause zu sein. Das ist schön, das ist gut, das gelingt auch ab und zu, aber kaum auf Dauer und, sieht man sich um, nur wenigen. Mehrheitlich dilettieren wir, was das Leben betrifft. Leben gedämpft. In Pflichten eingebunden, an Zügel gelegt.

 

Love life erinnert an wohltuenden Überschwang und ist doch nüchtern genug. Das Leben kann zwar aufregend sein und wie Wetter ohne Schirm, für die Liebe dazu braucht es aber oft schlicht eine Gummihaut.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2005 / Essay