Wiederkunft Christi

 

In Mexiko, lese ich in einer Zeitungsnotiz, wurde der Schauspieler James Caviezel für den leibhaftigen Messias gehalten. Bewohner mehrerer Dörfer baten den Jesusdarsteller aus dem Film „Die Passion Christi“ darum, Kranke zu heilen und Wunder zu tun. Das erstaunt mich nicht. Die Wünsche kann ich teilen, den Glauben weniger. Die erste Reaktion ist das natürlich nicht. Zuerst kommt das Lachen, dann das Denken. Wie kann man nur das Kino mit der Realität verwechseln. Ja wie kann man denn bloss? Man kann. Ohne grosse Probleme. Mindestens zwei Stunden lang. Länger schaffen es die wenigsten. Offenbar aber die Dorfbewohner in Mexiko. In der Regel verlässt man eine Geschichte, wenn man aus dem Kino tritt. Manchmal fällt es schwer, den Übergang reibungslos zu schaffen. Ein kurzes Zögern, wenn man vom Winter in den Sommer gerät und sich unvermittelt im Feierabendverkehr wiederfindet. Manchmal atmet man bei der Rückkehr auf, manchmal kommt es einer Zwangsversetzung gleich. Gerne hätte man sich im einen oder anderen Film für immer verloren.

 

Das anfängliche Lachen über die Dorfbewohner aus Mexiko gilt auch der eigenen Naivität. Und den eigenen Träumen vom Glück. Was den Unterschied ausmacht? Die Kraft zu wünschen. Ich habe es noch immer geschafft, das Kino zu verlassen. Ich habe seine Geschichten, seine Bilder sortiert und archiviert, die Erschütterungen, die Tränen und das Lachen im Dunkel zurückgelassen. In mein Tages-Leben auferstanden sind sie noch nie. Ich bin nicht unbedingt stolz darauf. Natürlich ist es klug, zu wissen was Erfindung ist und wo das wirkliche Leben beginnt. Den Unterschied nicht zu kennen, kann gefährlich sein. Ein bisschen beneide ich sie dennoch, jene Leute in Mexiko. Nicht weil sie der Wirklichkeit entwischen, sondern weil sie wissen, dass sie der Erlösung bedürfen. Aber der Neid weicht der Vernunft und die Vernunft sagt: der Wunsch nach einem Messias ist verständlich, aber muss es denn ein rechtskonservativer Hollywoodschauspieler sein?

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2004 / Essay