Körperschauplatz

 

Der Titel meiner Ausführungen klingt etwas mysteriös, ich hoffe es wenigstens. Er sollte euch einstimmen auf einen Zugang zu unserem Tagungs-Thema «Inkarnation», der sich selber nicht so ganz sicher ist. Er hat etwas mit Schauen zu tun, mit Körpern, aber darüber hinaus?

 

Körperschauplatz – der Begriff hat mir gefallen, klang stimmig für das, was ich mir vorgenommen habe: den Körper etwas zu umrunden, von allen Seiten anzuschauen, zu sehen, wie es ihm geht, wie er aussieht, sich bewegt, was er zeigt, was er verbirgt auf dieser Bühne des Lebens, wo er seinen täglichen Auftritt hat. Und schon beginnen die Probleme: Den Körper gibt es nicht, der Körper wäre, in dieser Allgemeinheit, eine reine Idee, ein blanker Knochen ohne Fleisch, und um dieses Fleisch geht es uns ja gerade. Und doch gefällt mir das Wort «Körperschauplatz» – die Vorstellung, dass im Körper die verschiedensten Linien zusammenlaufen, die verschiedensten Ideen, Entwicklungen, Techniken, Geschichten sich inkarnieren und sich damit auch zeigen, eröffnen. Der Körper ist eine Bühne und wir spielen eine Rolle, jede von uns, mit und in ihrem Körper und wir spielen nicht nur unsere Rolle, wir werden auch angewiesen, eingewiesen, dirigiert, irgendjemand, irgendetwas schreibt ein Stück, dem wir folgen, auf unterschiedlichste Weise – wir haben uns nicht nur in der eignen Hand, irgendwie hängen wir an Texten, die wir nicht alleine verfassen, der Körper, unser Haus, ist keine Einzimmerwohnung, keine Höhle für uns alleine, da gibt es viele BewohnerInnen, nicht alle mögen wir. Sie sind dennoch da.

 

Körperschauplatz – das Bild lässt viele Assoziationen zu, unendlich viele, wie es der Körper selber auch tut. Was ein Körper ist, die Schnittstelle zur Welt, die er bildet, was mit ihm und durch ihn in der Welt vorgeht – wir könnten stundenlang Bilder und Geschichten und Worte dazu finden. Der Körperschauplatz ist ein riesiger Platz, ein vorgestellter Platz, auf dem sich Körper bewegen, sich zeigen, gesehen werden. Um beim Bild vom Platz zu bleiben: Der Platz ist immer auch eine Bühne, und Bühnen spielen mit Masken und Blössen, mit sich verstecken und mit nackt sein; der Platz ist das Gegenteil von einem Nest, man muss ins Leere hinaus, keine Wände, keine Nischen, Verstecke mehr ... aber ganz ganz viel freier Raum, ganz viele Möglichkeiten, Richtungen, die man einschlagen kann, Aussichten, die man wählen kann, Perspektiven, die sich auftun, «Überblicke», die man gewinnt. Ein beinahe perfektes Bild von dem, worin wir in der Regel heute unsere Körper sich bewegen sehen. Im freien Land, auf grossen weiten Plätzen und alles, beinahe alles ist möglich.

 

Körperzwang

 

Die letzten Jahrhunderte, vor allem die christlich und später bürgerlich dominierten, die sehen wir in der Regel als enge Gassen, vor allem für Frauen. Ihre Körper hatten oft kaum Raum und Luft zum Atmen; ihre Lebensräume waren eng wie Korsetts, einschnürend, beengend. Die Körper waren wie ungelüftete Räume, oft verborgen, versteckt, mit Verboten und gefährlichen Zonen zum Schweigen gebracht, sie lebten aber auch mit vielen Geheimnissen, kannten dunkle Winkel und verborgene Gassen des Verlangens, der Lust und des Schmerzes. Ihre Sprache war oft nur geflüstert, voller Auslassungen und Verschweigen, und voll Unerfülltem, Gewalt, Druck. Vor allem das Geschlecht der Körper, vor allem die Lust der Körper, gerade der Frauenkörper, so sagen wir, lebte verschnürt, eingeschlossen, gefangen, oder dann ungezügelt, gierig, leidenschaftlich.

 

Einiges davon stimmt, einiges nicht. In manchem waren die Körper freier, in ihrer Körperlichkeit auch öffentlicher – ob etwa im mittelalterlichen Badehaus oder bei der Hinrichtung – der Körper war in seiner Nacktheit oder in seinem Schmerz nicht in die Intimität verbannt. Auch war er je nach Stand und Schicht unterschiedlich beobachtet und unter Druck, in manchem aber sicher gefangen und eingeengter als heute, aber darum geht es hier eigentlich nicht. Die Geschichte der abendländischen Körperfeindlichkeit ist verworren, lang, zweideutig und eine genauere Analyse wert, aber das würde hier zu weit führen. Es geht mit hier eher um die Bilder, die Mythen, die wir pflegen, um das, was wir glauben und wie wir uns auf diesem Hintergrund heute selber sehen. Und wir sehen es meist so: Wenn wir das Bild des Platzes vor Augen haben, so glauben wir, glaubt die Mehrheit von uns, dass wir die engen Gassen der christlich und bürgerlich disziplinierten Körper verlassen haben und in den offenen Raum getreten sind, wo es hell ist, wo wir unbehelligt alle möglichen Richtungen einschlagen können. Das alte Misstrauen, die alten Diffamierungen sind weitgehend ausser Kraft gesetzt, sie belästigen uns kaum mehr, haben ihre Kraft verloren. Soweit gut. Der helle Raum aber, das ist die andere Sicht auf die Dinge, der helle Raum, der offene Platz verbirgt wenig mehr, leuchtet alles aus, lässt keine Verstecke zu. Nichts bleibt verborgen, alles tritt ans Licht. So obsessiv wie heute wurden die Körper wahrscheinlich kaum je ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Aber vielleicht ist auch das eine Täuschung.

 

Freies Körperglück?

 

Auf diesem grossen Platz der Freiheit, den wir im 20. Jahrhundert, in unseren westlichen Gesellschaften, in unseren städtischen Kulturen des industrialisierten Nordens, betreten haben, gibt es nicht nur die freie Fahrt ins Körperglück, sondern auch einige Hindernisse. Diese Hindernisse interessieren mich hier. Nicht aus Schadenfreude, sondern weil sich für mich hier der Optimismus sozusagen bewahrheiten muss, den wir mit der Vorstellung der Fleischwerdung Gottes im Grunde vertreten. Wenn es eine gute, wohltuende, heilende Vorstellung sein soll, dass Gott Fleisch geworden ist, und wenn wir dies auch in unseren Körpern nachvollziehen wollen, gerade weil wir eine lang andauernde Geschichte der Verachtung, des Missbrauches, der mannigfaltigen Besetzung unserer Körper hinter uns haben, dann ist es wichtig, spannend und interessant zu wissen, ob unsere Körper wirklich Gastrecht gewähren können, ob sie überhaupt durchlässig genug sind, empfänglich genug für ein solches Geschehen. Vielleicht ist unser weibliches Fleisch nach so vielen Jahren Fremdherrschaft und Okkupation zu misstrauisch gegenüber einem neuen Gast und gelte er auch als liebevoll und freundlich.

 

Um euch an dieser Stelle vorzuwarnen: Was ich hier tue, ist sozusagen lautes Denken. Ich rede von etwas, das mich beschäftigt, mich anregt, auch aufregt, in Atem hält, immer wieder und immer wieder neu und das keine Theorie ist, keine soziologische Analyse, kein erschöpfender Bericht vom Schauplatz Körper. Ich sehe nicht alles, sehe nur Teile. An vielem werde ich vorbeigehen und es nicht merken. Aber wir werden zum Glück später zusammentragen, was wir, jede einzelne von uns, sieht.

 

Der Körper einer Frau, der Körper eines Mannes, ist ein Wunder. Das als erstes. Dass es das überhaupt gibt, ist ein Wunder. Es ist ein alltägliches Wunder und wie jedes alltägliche Wunder, ein vergessenes Wunder. In der Regel realisieren wir dieses Wunder, wenn es sich uns an irgendeiner Stelle versagt. Das ist verständlich, weil man mit dem Wunder nicht Tag für Tag leben kann, ohne dass es Normalität wird.

 

Die Zweideutigkeit des Körpers

 

Trotzdem ist da diese Erfahrung des Mangels, des Bruches im Selbstverständlichen, die Schnittstelle zum vielgeschmähten Dualismus, zur Trennung von Geist und Fleisch, von Freiheit und Notwendigkeit, von Ewigkeit und Endlichkeit. Der Körper wird zum Erdreich des Vergänglichen, des Verletzlichen, des Schmerzenden, des Unerfüllbaren, zu dem, was einen bindet, was schwer ist und zurückhält. Nur der Geist kann fliegen, sich frei bewegen, ist dem Himmel nahe, der offen ist und ohne sichtbares Ende.

 

Diese Vorstellung ist alt, sie wird gerne mit Verachtung des Körpers gleichgesetzt, mit böswilliger Missachtung, die ihre schlimmste Wendung im Bereich des Sexuellen nimmt und doch ist sie, denke ich, in erster Linie eine Erfahrung des Schmerzes, des Mangels, der Enttäuschung. Es ist nicht einfach und nicht nur eine Verschwörung gegen die «Freuden des Fleisches», sondern die Erfahrung, dass der Körper sich oft schnell von einem Freund in einen erbitterten Feind verwandelt und das, was hilft, es auszuhalten, ausserhalb des schmerzenden Fleisches liegt. Das Lesen nur eines einzigen Folterberichtes genügt, das Lesen einer Krankheitsgeschichte genügt, um zu verstehen, dass es hier nicht nur um Ideologie geht, sondern in weiten Teilen um Erfahrung. Der Körper ist ein Zuhause und ist Feindesland. Diese Ambivalenz bleibt. Das will nicht heissen, dass die Erfahrung des Körpers als eines Todfeindes nicht auch mannigfach genutzt wurde – von Theologen, Moralisten, Philosophen, bigotten Müttern, um ihn jedenfalls in seinen lustvollen Dimensionen zum Schweigen zu bringen.

 

Diese Erfahrung der Zweideutigkeit des Körpers als Ort der Freude, der Lust, des Wohlbehagens, des sinnlichen und sinnenhaften Zugangs zur Welt, der gerade in dieser Sinnenbezogenheit auch in den Schmerz und die Qual mündet, münden kann, ist einer der Anknüpfungspunkte zwischen dem, was war und dem, was heute geschieht. Die Zweideutigkeit neigt dazu, ihre Spannungen zu lösen, indem sie sich in zwei teilt: in zwei einander gegenüberstehende, meist unversöhnliche Gegensätze. Man nennt dies Dualismus. Trennung in Geist und Fleisch, Vernunft und ungeordnete Begierde, Disziplin und Genuss, die Liste liesse sich verlängern. Dieser Dualismus ist nicht tot, auch wenn den Körpern heute scheinbar nicht mehr mit dem alten Bild des verachteten Fleisches beizukommen ist, eines Fleisches, das die Freiheit des Geistes, die sinnvolle Arbeit der Vernunft und die ungehinderte Entfaltung des Willens stört, manchmal ausser Kraft setzt.

 

Der Körper als Fenster zu unserer Innenwelt

 

Die Körper werden heute nicht mehr verachtet, davon sind wir überzeugt. Sie werden gefeiert, sie stehen im Zentrum, sie werden verhätschelt und umsorgt, wie kleine Kinder: Nicht nur die Sexualität, ob männliche, ob weibliche und nicht nur Schwangerschaft und Geburt werden minutiös bis in die letzten Winkel hinein erkundet, ausgekostet, beredet und öffentlich gemacht, auch jede kleine alltägliche Äusserung, jede Bewegung wird interessiert beobachtet. Wir tun was wir können, wenn sie – die Körper – etwas von uns wollen. Wir nehmen sie ernst. Wir horchen in sie hinein, wir lesen aus ihnen. Jeder Kopfschmerz eine Botschaft der Seele, jede Zyste eine Materialisierung unserer wahren Befindlichkeit. Wir trennen nicht mehr zwischen Körper und Seele, zwischen Materiellem und Geistigem, das Materielle, unser Fleisch, ist der Spiegel unseres verborgenen und deshalb als wahr genommenen Selbst.

 

Man kann das als Fortschritt sehen: Wir sind Körper, wir haben nicht Körper, sagt man diesem Denken jenseits der alten Dualismen und wahrscheinlich ist das ein Fortschritt. Aber wie überall, könnte man auch hier einwenden: Wir lösen keine Probleme, wir verschieben sie nur an andere Orte und vergessen sie.

 

Das Problem der Freiheit der Körper etwa, der Körper jenseits der Gängelung durch Ideologien, Mythen, Wunschvorstellungen. Irgendetwas an diesem positiven Bild des Körperseins ist nämlich altvertraut: Körper und Seele, Materie und Geist gelten zwar als eins, werden nicht länger auseinanderdividiert und gegeneinander gehetzt, aber nach wie vor ist der Körper der Diener der Seele, der Übersetzer ihres verborgenen Lebens, ein Instrument des Geistes: Jede Krankheit, jeder Schmerz, jeder Mangel, der sich im Körper zeigt, in ihm spürbar wird, ist ein Bild für etwas Dahinterliegendes. Das Soma, der Leib, ist der Übersetzer der Psyche ins Sichtbare. Psychosomatik – keine und keiner entgeht ihr. Die Alten haben es Sünde genannt und im kranken Leib einen Verstoss gegen Gott erkannt. Krankheit wurde zum Bild des falschen, das heisst gottfernen Lebens. Wir sagen: Krankheit ist ein Bild für das selbstentfremdete Leben, für das Ich, das nicht in der Balance ist, für ein geschwächtes Selbst, ist ein Verstoss gegen sich selbst. Natürlich möchte ich diesen Zusammenhang nicht bestreiten, und doch kann ich darin nicht nur etwas Befreiendes sehen. Als ob der eigne Körper auf eine andere Weise jetzt wieder allen gehört, alle Zugriff darauf haben. Alle können ihn lesen, alle schleichen sich unter seine Haut, wissen, wie es innen aussieht, meist besser als man selbst. (www.körper.ch und alle sind drin und surfen herum und schauen sich dies an und schauen sich das an und bieten Theorien an und Therapien und der Körper ist wieder nicht das eigne Haus. Mit Freiheit hat das jedenfalls nur wenig zu tun.)

 

Der Körper als Fassade

 

Der Körper gilt jedoch nicht nur als das Fenster zu unserer Innenwelt, er ist auch die Tür zur Aussenwelt. Er ist aber nicht nur Schnittstelle zwischen innen und aussen, er hat auch sozusagen eine Fassade, er gestaltet sich als Schein und Oberfläche. Er zeigt sich, schmückt sich, inszeniert sich, bebildert sich. Das ist nicht neu. Die Oberfläche ist und war immer schon das einzig wirklich unbestreitbar Sichtbare (ausgenommen für die Mediziner). Und: Die Oberfläche, der Schein, die Selbstdarstellung, das Schaffen einer möglichst schönen und reichhaltigen Fassade galt bisher als die bevorzugte Domäne der Frauen – auch das ist nicht neu. Was allenfalls neu ist, ist die Bewertung der Oberfläche, ist die Frage nach dem Ausmass und Einfluss, den die Oberfläche gewinnt. Für diese Frage tut sich ein immenses Gebiet auf. Ein ganz spannendes, zu dem ich nur in ein paar Punkten ein paar Bemerkungen machen kann.

 

Wir leben heute im Zeitalter des Auges, heisst es.

 

Der Tastsinn, der Hörsinn, der Geruchssinn etwa werden vernachlässigt. Es geht ums Schauen, ums Beobachten, und wenn es um Körper geht, auch ums Gesehen werden. Das Auge aber lebt von der Distanz. Und es heftet sich an Oberfläche. Tastet sich ihr entlang, analysiert, vergleicht, ordnet zu.

 

Wir leben im Zeitalter des Individualismus, heisst es.

 

Wir definieren, wir schaffen uns selbst. Das Gesamtkunstwerk «Ich“ ist unser Auftrag. Um wahrgenommen zu werden, müssen wir etwas darstellen, müssen wir uns inszenieren. Gruppenzugehörigkeit, Milieu. Weltanschauung wird durch Kleidung und allerlei Attribute ablesbar. Körperornamentik, Tätowierungen, Piercings, Schmuck, Kleider sind Signale: So sind wir, so sehen wir uns, so sehen wir die Welt. Auch, was wir verweigern, und zu wem wir gehören. Stil ist alles, wenn es um sichtbare Attribute eigener Aussergewöhnlichkeit, sprich Individualität geht. Aber, so der deutsche Modeschöpfer Joop, wir bleiben heute nicht bei den Attributen, sondern wir gehen eine Schicht tiefer: Nicht mehr das Kleid ist die Botschaft, sondern der Körper selbst. Wir tragen im Wortsinn heute unsere Haut zu Markte, nicht mehr das, was sie umhüllt. Nicht mehr das Gewand verschönert, kaschiert, hebt hervor, lenkt den Blick durch Schnitt und Farbe auf das, was wir zeigen möchten, sondern unser Fleisch selber fängt den Blick. Das trifft nicht mehr nur auf Frauen zu, aber nach wie vor oder noch betrifft es sie, trifft es uns, stärker.

 

Selbstverschönerungen

 

Waren wir immer schon ausdauernd in all unseren Selbstverschönerungsanstrengungen, so sind wir darin doch auch weitergekommen. Wir sind modern, wir nutzen, was uns an Technik geboten wird, auch wenn es nach wie vor mehrheitlich Männer sind, die sie uns nahelegen und uns damit zu Diensten sind. Das sieht dann etwa so aus: Wir stopfen keine BH's mehr aus, sondern die Brüste selbst. Wir verstecken nicht mehr Fettpolster durch vorteilhafte Schnittführung des gnädig verhüllenden Stoffes, sondern wir saugen das Fett gleich ab. Nicht mehr die enge Jeans strafft die Silhouette, sondern die gestraffte Haut besorgt das selbst. Nicht mehr das Material auf der Haut, sondern der Muskel unter der Haut modelliert unsere Konturen. Verführerisch sinnliche Lippen brauchen keinen Lippenstift mehr, sondern Silikon. Die Liste liesse sich verlängern, aber das Prinzip ist klar. Bodybuilding, Krafttraining, Schönheitschirurgie, Sonnenstudio, Kosmetik ... alles wird getan für die Währung Schönheit, die heute eine sichere, wenn auch noch nicht so ganz dauerhafte Währung ist.

 

«Wir leben in einer körperbetonten Gesellschaft. Die Leute wollen so gut aussehen wie möglich. Und warum nicht?» – so formuliert es ein Schönheitschirurg. «Body sculpting» heisst der Vorgang der Selbstperfektionierung.

 

Schönheit als Wettbewerbsfaktor

 

Man mag das, was auf diesem Gebiet geschieht, für beklemmend halten, aber, so die US-Feministin Nancy Friday, die meisten Leute, die sich über Schönheitsoperationen aufregen, sind solche, die sie sich bloss nicht leisten können, oder die neidisch sind auf das Ergebnis. «Schönheit ist ein knallharter Wettbewerbsfaktor», meint sie weiter. «Schönheit ist bares Geld wert. Und jugendliche Schönheit ist in unserer Gesellschaft mehr wert als die Schönheit des Alters. Das ist eine Tatsache.» Deshalb rät sie denn auch den Frauen, von der Schönheit Gebrauch zu machen, so lange es eben geht, ihr, wenn es nötig wird, eben auch operativ nachzuhelfen.

 

Die Anfänge der Frauenbewegung seien asexuell gewesen, weil Frauen nicht mehr über Schönheit und Sexualität definiert werden wollten, doch heute wollten Frauen ernstgenommen werden und trotzdem erotisch attraktiv sein. Zum Überleben bräuchten sie heute keinen Mann mehr. «Wir können unsere Miete zahlen, zu unserem Schutz im Nachtisch eine Knarre aufbewahren und unseren Nachwuchs notfalls von einer Samenbank kaufen. Wir sind nicht mehr ökonomisch abhängig von unseren äusseren Reizen. Darum können wir es uns leisten, sie vorzuzeigen.» Auf die Frage hin, was denn die Frauen tun, wenn die Männer die Macht neu verteilen, während sie in Kosmetikkursen hocken, meint sie: «Das muss doch kein Entweder-Oder sein. Die Männer sagen doch längst: Ihr seid in unsere Welt eingedrungen, ihr habt uns unsere Schreibtische geklaut, jetzt machen wir euch auf eurer Domäne, der Schönheit, Konkurrenz. Im Wettbewerb haben Männer heute keine Hemmungen, äussere Vorzüge eiskalt einzusetzen. Wenn wir Frauen nicht aufpassen, laufen sie uns auch noch auf dem Feld der Schönheit den Rang ab.»

 

Konkurrenz an allen Fronten sozusagen, die Kriegserklärung der Männer auch auf dem Gebiet der Schönheit. Auf jeden Fall Mithalten, Mitkämpfen, ist Friday's Devise. Man kann daraus so wenig aussteigen, wie aus der globalisierten Marktwirtschaft.

 

Schönheit und Macht

 

Noch vor ein paar Jahren hat eine andere Amerikanerin, Naomi Wolf, ein dickes Buch mit dem Titel «Mythos Schönheit» geschrieben und darin unter Stichworten wie Religion, Arbeit, Hunger, Gewalt, Sex eine bis in alle Details hineinleuchtende Studie über die Macht des Schönheitsdiktates geschrieben, das eine Unmenge an weiblichen Ressourcen – finanziellen, emotionalen, zeitlichen – verbraucht und die Frauen zum Teil erfolgreich daran hindert, zu werden, was sie sein möchten. Würden Frauen alles Geld, das sie in ihre Schönheit investieren – Kleidung, Kosmetik, Fitness usw. – für ihre Weiterbildung einsetzen, sie wären schon längst in die Schaltstellen der Macht aufgestiegen. Gegensätzlicher geht es wohl nicht. Dass Schönheit, dass die Verpackung des Körpers aber der Dreh-und Angelpunkt im Poker um die Macht ist, daran zweifelt keine der beiden.

 

Körperpflichtprogramm

 

Es sieht also so aus, als ob die Körper zwar freier geworden, aber doch nicht wirklich bei sich selber angekommen sind. Sie sind sich selber noch immer fremd, wie eben ein Instrument nicht die Hand ist, die es führt. Der Körper ist nach wie vor etwas, das eine Funktion zu erfüllen hat, ob diese Funktion nun Schönheit oder Leistungsfähigkeit oder Wettbewerbsvorteil im Allgemeinen heissen mag. Sich um den Körper kümmern, mit viel Arbeit, mit Kosmetik und Hygiene-Ritualen, mit Leistungssteigerung, mit technischer Raffinesse im Bereich der Sexualität, deren Verbesserung sich mannigfaltige Sex-Sendungen im Fernsehen annehmen ... dieses Sich-Kümmern, hat etwas Obsessives, Zwanghaftes, jedenfalls nicht viel von Freiwilligkeit und Lockerheit. Es sieht nicht sehr liebevoll aus, eher pflichtbewusst, etwas, das man tun muss, das sich gehört. Schlanksein etwa, diese Obsession der letzten paar Jahrzehnte, ist beinahe eine Frage der Ehre. In den USA wird von «Fatism» als Pendent zum Rassismus gesprochen, auch den Begriff «Ageism» kennt man da schon. Typisch Amerika, könnte man sagen. Trotzdem hat es etwas für sich, diese Pflicht zur Körpernormierung als grundsätzlich körperfeindliche Ideologie und aIs Ausgrenzungsmuster zu deuten. Dieser Eindruck verstärkt sich, wenn man sich die Verbindung von Schönheit und Reichtum vergegenwärtigt – wer kann sich all die Schönheitsarbeit schon leisten – und wenn man zur Kenntnis nimmt, dass zunehmend Armut und Hässlichkeit und Dreck miteinander ihn eins gesetzt werden, nicht nur Armut, sondern auch die Armen selbst, die man an vielen Orten bereits Dreck, Müll nennt ..., der nach Entsorgung ruft.

 

Wir leben im Zeitalter der Körperentlastungen, heisst es.

 

Wir reduzieren für alles und jedes den Kraftaufwand der Körper. Wir fahren Lift, wir drücken nur noch Knöpfe, wir haben Handys im Sack und Küchengeräte en masse, die Zeit- und Kraftaufwand reduzieren. Unsere Körper werden mit vielem verschont – deshalb müssen wir sie ja dann die Krafteinsparungen durch Sport und Fitness und Gymnastik und Krafttraining wieder ausbalancieren lassen.

 

Reiner Geist – überflüssiges Fleisch

 

Unsere Körper werden also entlastet, aber auch entlassen, müsste man hinzufügen. Die Maschinen, mit denen wir sie entlasten, die Verlängerungen der Körper sozusagen, die Instrumente ihrer Lebenserleichterung, beginnen sie immer mehr abzulösen, sie überflüssig zu machen. Nicht nur die Surfer im Internet, die Zeitgenossen, die sich chattend im Netz begegnen, mit künstlichen, idealisierten Körpern im Internet Sex haben, auch die Robotereologen lieben den reinen Geist.

 

Maschinenförmigkeit

 

Während langer Zeit wurde die Maschine als Erweiterung des Menschen begriffen, heute scheint sich eine umgekehrte Entwicklung anzubahnen: Der Mensch ist eine Erweiterung der Maschine, das Menschliche wird in die Maschine als nützliches Teil integriert. Den Computern etwa versucht man, menschliche Eigenschaften zu verleihen, Bewusstsein z.B. oder Denkfähigkeit. Die Selbstreproduzierbarkeit künstlicher Intelligenz wird bereits erprobt und wird vielleicht einmal möglich sein. Organismus oder Maschine – beides greift ineinander über. Auch die Menschen werden, heisst es, immer maschinenförmiger. Die Körper müssen, wie Maschinen, gewartet, gesteuert, verbessert und leistungsfähiger werden, ob mit Diäten, Training oder auch Designer-Drogen, Anabolika u.v.m. Das alles hat nicht nur mit Fixierung auf den Körper, sondern auch mit der Faszination gegenüber der Maschine zu tun, die nicht nur die Robotiker und Computerfreaks und Ingenieure, sondern auch viele von uns erfasst. Nun könnten wir natürlich versucht sein zu sagen: Es sind in der Mehrzahl Männer, die dieser Faszination erliegen. Waren es früher die Autos, sind es jetzt die PC's. Männer neigen dazu, sich der Welt vermittels Instrumenten zu nähern, sich Techniken zu bedienen, um etwas zu erleben.

 

Verlässliche Leistungsfähigkeit und allenfalls Reparaturmöglichkeit bietet die Maschine eher als ein Mensch, das macht sie attraktiv, obwohl es den Anschein macht, als ob die Biologen und Chirurgen am lebendigen Objekt Mensch jetzt gewaltig aufholen. Ähnlich wie bei einer Maschine lässt sich alles, bis auf allerkleinste Teile, auseinandernehmen und neu kombinieren. Man kann Teile herausnehmen und Neue einbauen, sogar bald einmal Ersatzteile auf Vorrat produzieren. Man kann schrauben und schleifen und absaugen. Beinahe alles scheint möglich.

 

Auch wenn es viel mehr Männer als Frauen sind, welche diese Entwicklungen vorantreiben, und auch wenn es unter den Frauen mehr Skeptikerinnen haben mag, so leben Frauen trotzdem auch im Einzugsgebiet dieser neuen Ideologien. Wo sie ihnen nützen – in Fragen der Schönheit, Gesundheit, der Fertilität, auch wenn es um Jobs und Karrieren geht, da lassen sie ebenfalls nichts aus. Korrumpierbar sind die meisten von uns, auch wenn viele etwas länger widerstehen, etwas länger sich zurückhalten. Aber der Körperschauplatz des ausgehenden 20. Jahrhunderts ist keine Privatveranstaltung der Männer, kein Herrenclub, auf dem sie unter sich und allein zu ihrer Freude die neuesten Errungenschaften feiern, sondern daran nehmen wir, in der einen oder anderen Form, alle teil. Ausnahmen nicht ausgeschlossen.

 

Die Zügel los?

 

Der Körperschauplatz – um das Bild zum Schluss nochmals aufzunehmen – ist ein grosser, weiter Platz, und doch scheinen die Körper in dieser Freiheit, die der Platz öffnet, nicht nur leicht und ungezwungen und in der Bewegung frei zu sein. Oder anders gesagt: Mit der Freiheit haben wir uns noch nie leicht getan; und die Tatsache, dass unsere Körper sozusagen mehr Auslauf, mehr Spiel-Arten haben, bedeutet nicht, dass sie sich nicht doch weiterhin an Zügeln bewegen und sei es an jenen Zügeln, die wir im Kopf haben. Um sie loszuwerden, um sehen zu lernen, wer wir sind, wenn sich in unseren Körpern nicht nur Pflichten und Normen und Dienstleistungen inkarnieren, sondern Freieres, Würdevolleres, auch Eigeneres, bis dahin liegt noch einiges vor uns und vielleicht braucht es auch ein gutes Mass an Trotz, Eigenwillen und anarchischem Wohlbehagen in unseren Körperwelten, um etwas von dem zu erleben, was die Dichterin Gioconda Belli so schön «Feuerwerk in meinem Hafen» nennt.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

Vortrag gehalten an der Tagung: Inkarnation im weiblichen Fleisch, 20./21. März 1998, Paulus-Akademie Zürich

© Silvia Strahm 1997 / Rede