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Lasst uns faule Frauen preisen
Liebe Frauen
Hätte ich den Titel meiner Rede ernst genommen, ich wäre nicht hier. Dasselbe gilt wohl für sie. Mit solchen Widersprüchen verbringen wir unsere Tage, wahrscheinlich einen Grossteil unseres Lebens.
Das ist nicht weiter schlimm, der Gang der Dinge ist so, man nennt es «realistisch» und viele von uns halten das durchaus für eine Tugend. Man kann es auch Pragmatismus nennen, etwas, wofür Frauen, so heisst es, ausserordentlich begabt seien. Es blieb ihnen ja auch die meiste Zeit nichts anderes übrig, als zu lernen, aus Wenigem das Beste zu machen. Aber diese Zeiten gehen zu Ende, bis vor einigen Jahren sah es jedenfalls so aus.
Nicht mehr aus dem Wenigen das Beste zu machen, sondern aus allem, was möglich ist, alles, was nur irgend geht, herauszuholen – so schien die Lebensphilosophie zu heissen. Das Leben ist kurz, die Welt riesig, ihre Möglichkeiten, wenn einem die Mittel nicht fehlen – die finanziellen und persönlichen – uferlos.
Das klingt aufregend und verheissungsvoll! Es klingt nicht nur so, es war es auch, trotz vieler Mängel und blinder Flecke. Das Versprechen dieser Epoche mit dem optimistischen Namen «die Moderne», hiess: Alle haben die Möglichkeit, ihr Lebens frei zu gestalten. Weder Herkunft, noch Milieu, noch Geschlecht sollen das, was man will, begrenzen. Was man wird und aus sich macht, liegt allein in eigner Hand. Die Schmiedin des eigenen Glücks zu sein – dies war kein Märchen mehr, sondern ein Programm. Zum ersten Mal in der Geschichte war für die Frauen in den industrialisierten Gesellschaften des Nordens im Prinzip alles Mögliche tatsächlich möglich; das Leben keine Einbahnstrasse mehr, die in Ehe und Mutterschaft endete, es war vielmehr offen nach allen Seiten. Ob Beruf, Lebensform, Moral, neuerdings sogar Körper – alles wurde und wird wähl- und gestaltbar. Instanzen, welche einem vorschreiben, was man zu denken und wie man sich zu entscheiden hat, gibt es seither nicht mehr. Die christlichen Kirchen, ehemals alleinige Hüterinnen von Weltdeutung und Moral, verlieren langsam aber sicher ihren gesellschaftlichen Einfluss, von übergeordneter Bedeutung ist höchstens noch ein diffuser Gott namens Markt, der zwar auch verordnet aber keine ethischen Masstäbe, sondern bloss Zulassungschancen, Kosten-Nutzenrechnungen, Profitorientierung und Konsum.
Diese Verheissung mit dem schönen Namen Moderne, sie war aber, so scheint es heute, nicht mehr als ein kurzes Intermezzo. Wir haben geglaubt, sie sei der Boden, auf dem wir immer schneller und immer besser weitergehen, ein nie endender, reichgesäumter Boulevard ins Glück, eine Strasse, die mit der Zeit für alle zugänglich sein wird. Dem ist nicht so, das spüren wir immer deutlicher. Nicht umsonst wird jetzt, in dieser Zeit, in der alles bricht, in der alles neugeordnet wird, auch neu verteilt, nicht nur zwischen Männern und Frauen, nicht umsonst wird ein Film wie der Untergang der Titanic zum unvorstellbaren Publikumserfolg. Vieles von unseren Träumen und unserer Furcht, von unserem Optimismus und unserem Katastrophenbewusstsein steckt in diesem Film, steckt in diesem Bild des untergehenden Luxusdampfers, mit dem viele von uns in den letzten Jahrzehnten sozusagen unterwegs waren.
Das alles drückt, wird zur Last, macht müde, oft mutlos, auch ängstlich. Wie wird es weitergehen? Gibt es noch neue Ideen für menschenverträgliche Lösungen der gegenwärtigen Entwicklungen? Wer wird auf der Strecke bleiben? Wie werden wir das verhindern können? Was geschieht mit uns? Wo haben wir, jede einzelne von uns, überhaupt Steuerungsmöglichkeiten und die Kompetenz dazu? Und in solch einer Situation sollen wir nun die Tugend der Faulheit lernen? Sie gar preisen? Wieso? Müssten wir nicht unsere Anstrengungen verdoppeln, damit das, was wir haben und brauchen, nicht verloren geht, uns nicht aus den Händen geredet wird als notwendiges Opfer und als Anpassungsleistung an die neue Zeit?
Die Frage ist schwierig, kompliziert, wie das Leben kompliziert ist und undurchsichtig und doch ist in diesem ganzen Wirrwarr ein Faden und der heisst Faulheit und es wäre wichtig, ihn herauszuzupfen aus dem Knäuel von Plänen und Ängsten und Vorhaben und Pflichten und Notwendigkeiten und mit diesem Faden auch ein bisschen uns selbst.
Aber zuerst noch etwas anderes, noch einen kurzen Abstecher in den Fleiss, die Arbeit, den Stress, also die Realität.
Noch vor einigen Jahren, als alles etwas rosiger aussah, frischer und verheissungsvoller, da waren viele Frauen überzeugt, sie müssten die neuen Möglichkeiten, die sie sich erkämpft haben, nutzen, unter allen Umständen nutzen, denn sie wussten, dass die Welt etwas von einem Dschungel hat, in den sie sich zwar mühsam einen Weg geschlagen hatten, der aber, wenn sie nicht wachsam sein, wenn sie die herausgeschlagenen Wege nicht begehen würden, hinter ihnen schnell wieder zuwüchse. Diese Einschätzung ist durchaus vernünftig. Liest man sich geduldig und mit dicker Haut durch heutige Analysen der Erfolge der Frauenbewegung – in den Feuilltons, den verschiedensten Wochenmagazinen – dann ist da sehr oft sehr viel Häme zu finden über das, was Frauen erreicht haben, relativ wenig eben. wird vermerkt: sie sind noch immer schlechter bezahlt, noch immer finden sich wenige Frauen in Spitzen – sprich Entscheidungspositonen, noch immer sind die Probleme der Kinderbetreuung bei Erwerbsarbeit ungelöste etc. Der Pfad durch den Dschungel ist schmal, viele bleiben im Dickicht hängen, nur wenige erreichen, was sie einst vorhatten. Trotzdem: Im Weltvergleich betrachtet, bewegen wir uns auf gut ausgebauten Strassen und mit vielen Sicherheitsplanken; unsere Fahrt ist durch mancherlei Polster und Federung angenehmer gemacht worden und wir könnten mit guten Gründen von Erfolgen und Errungenschaften sprechen. Aber wir wissen auch, dass sie fragil sind, verletzlich und dass es keinen Grund zum Übermut gibt: Errungenschaften können zurückgenommen werden, wir erfahren es ja Tag für Tag.
Also Weiterkämpfen, es geht nicht von alleine; zudem warten viele ja nur darauf, dass Frauen zur Einsicht gelangen, sie hätten es doch in den traditionellen Bahnen einfacher, ruhiger und befriedigender gehabt. Das heisst also: Die Möglichkeiten, die Frauen gewonnen haben, müssen ergriffen werden, sonst lösen sie sich in Luft auf, die Türen, die Frauen geöffnet haben, müssen durchschritten werden, damit sie ihnen nicht wieder vor der Nase zugeschlagen werden – das alles ist anstrengend, weil dabei gegen das Gesetz der Trägheit gearbeitet werden muss: sowohl der Frauen selbst, als auch der Gegebenheiten, die sich nur schwer verschieben lassen, weil das Gewicht so mancher männlicher Privilegien dranhängt.
Natürlich sind die wenigsten von uns Märtyrerinnen der guten Sache, die sich aufopfern für etwas, das die nächsten ernten – was übrigens so oder so fraglich scheint, wie ich letzthin zur Kenntnis nehmen musste: Viele unserer Töchter fänden es nämlich überhaupt nicht attraktiv, in die Fussstapfen ihrer Mütter zu treten und ihr anstrengendes Leben weiterzuführen. Sie wollen gar nicht unbedingt an diesem Staffettenlauf teilnehmen, sie wollen den Stab, den wir ihnen keuchend überreichen, gar nicht übernehmen und weiterrennen und schwitzen, damit eine andere weiterrennt und vielleicht tatsächliche durch die Ziellinie geht. Denn, wo ist überhaupt die Ziellinie? Eine gute Frage, zweifellos.
Wenn wir also nicht einfach Märtyrerinnen sind und sein wollen, wenn wir tatsächlich in unserem Leben auch ernten und profitieren von dem, was wir uns erhofften und wofür wir kämpften, so bleibt die Tatsache dennoch bestehen, dass unsere vielfach sehr bunten Leben zwischen Kindern und Haushalt und Erwerbsarbeit und politischen Tätigkeiten und ehrenamtlichen Engagements für allerlei gute und wichtige Sachen zwar sehr spannend, aber auch sehr aufreibend ist. Die vielen Stücke, aus denen für viele von uns das Leben besteht, diese vielen Stücke zusammenzuhalten, etwas zu kreieren, das nicht auseinanderfällt, sondern irgendein Muster ergibt, das wir uns auch gerne anschauen, das wir mögen, ist nicht einfach.
Wer von uns weiss noch, wie ein Leben aussieht, in dem es keine Agenda gibt? Vielleicht fragen wir uns ja inzwischen: Gibt es ein Leben nach der Agenda? Wer kann irgendetwas abmachen, ohne darin nachzuschauen und die Augen zu verdrehen und zu stöhnen und ohne dieses gewichtige, «aber erst in einem Monat», «aber diese Woche also ganz sicher nicht»? Wer hat nicht überall Arbeitspläne, Merkzettel herumliegen, um die verschiedenen Stücke im Griff zu haben? Wer kennt Frauen, die nicht stolz sind, tüchtig zu sein, durch und durch organisiert und effizient, ob in Haus oder Welt. Wer kennt Frauen, die nicht ganz schnell aufzählen, was sie neben den Kindern alles tun, wenn man sie nach ihrer Arbeit frägt?
Die meisten von uns, oder jedenfalls viele von uns haben, trotz gegenteiliger Beteuerungen und viel Ächzen und Stöhnen, gelernt, sich über Arbeit und Leistung zu definieren. Keine Zeit zu haben wird zwar bedauert, aber dennoch irgendwie in einer sehr verqueren Weise als Auszeichnung verstanden, irgendwo, wenn auch unsichtbar und im Geheimen, verleiht sich jede ihr Feminismusverdienstkreuz.
Diese Entwicklung ist vielleicht nicht genau das, was wir erhofft haben, aber es ist das, was aus unseren Wünschen geworden ist. Und es ist in vielem auch gut so. Wir haben vieles gewonnen, wir haben einiges erreicht und viel dafür getan. Das soll man nicht allzuschnell vom Tisch wischen, weil manches dabei nicht so herausgekommen ist, wie wir es hineinverpackt haben. Was das Erreichte aber bei allen nachweislich positiven Errungenschaften an Zweideutigkeiten besitzt, wird vielen von uns langsam ebenfalls deutlich: die neuen Freiheiten waren und sind Möglichkeiten, aber sie haben sich unter der Hand für viele von uns auch als Pflichten umdefiniert. Ich kann nicht nur, ich muss auch, was ich kann: Ich kann nicht nur trotz Kinderwunsch erwerbstätig bleiben, ich muss es auch. Ich kann nicht nur Karriere machen, ich muss es auch. Ich kann nicht nur die Welt mitgestalten, ich muss es auch ... und schon ist das Pflichtenheft voll und die Agenda angeschafft und das Organisieren wird ein neues Gebiet der Qualifikation. Die meisten von uns sind Genies im Organisieren, im schnell umorganisieren, neue Lösungen finden ... wir machen tausend Dinge nebeneinander und wir sind gut darin. Und es gibt viel Grund dazu, auf uns stolz zu sein. Die Frage ist einfach, wie lange wir das durchhalten und ob wir dabei den Überblick über Dinge, die nicht in unseren Agenden stehen, ebenfalls behalten. In der Regel sind ja die Notwendigkeiten das, was unseren Alltag bestimmt und unsere Zeitpläne füllt; das, was eben zuerst ansteht: die Sitzung, der Einkauf, das Abfragen von Französischvokabeln, das Kochen, das Arbeiten. Zeitunglesen, ein dringendes Telefon, die Gutenachtgeschichte, vielleicht ein Besuch ... was nicht in der Agenda steht: zwei Stunden faul sein, nichts tun, herumhängen ... Notwendigkeiten haben Priorität, alles, was nicht notwendig ist, ist überschüssig und erhält den Namen Luxus.
Ungebundene Zeit? Luxus! Nicht wissen, was wir in den nächsten Stunden tun? Luxus! Luxus kommt aus dem Latein und heisst «verrenkt, verbogen, ausschweifend». Zeit haben, die unverplant ist, ist also Ausschweifung, ist ausscheren aus der Geraden und aus der Ordnung. Wenn es um Zeit geht, dann ist keine oder zu wenig Zeit haben das Normale. Sogar die Aufhebung der Zeit als Masseinheit unseres Lebens, wird immer mehr durchgesetzt: Arbeit rund um die Uhr ist nämlich inzwischen das Normale, sogar an der Aufhebung der Tag und Nacht-Chronologie wird gearbeitet – Nachtarbeit oder Arbeit bis in die Nacht hinein wird immer alltäglicher, die Läden haben bald rund um die Uhr und die ganze Woche über offen, Radio und Fernsehen senden beinahe im 24 Stunden-Rhythmus, das Internet ist jederzeit zugänglich, am besten morgens um 2 Uhr. Pausen, Ruhezeiten werden immer weniger durch äussere Strukturen wie eben Wochen- und Sonntage, Tage und Nächte vorgegeben, sondern in ihrer alten Chronologie ausgehebelt und individuell variabel gemacht.
Zeit ist nichts mehr, in das wir uns fügen – nicht mehr in die Jahreszeiten, in Tag und Nacht, Wochen- und Sonntag, auch die Lebenszeit wird ausgereizt bis es eben nicht mehr geht. Zeit ist etwas, das in unserer Verfügung steht, das wir gestalten und uns zu Nutze machen. Das hat unbestritten auch Vorteile. Aber es fordert, wie so vieles, wiederum neue Kompetenzen und damit neue Anstrengungen von uns. Je mehr wir selber entscheiden können, desto mehr müssen wir eben tatsächlich selber entscheiden. Wenn Ruhepausen nicht mehr durch Arbeits- und Freizeitstrukturen, durch Wochen – und Sonntage, quasi von aussen verordnet werden, dann müssen wir das selber tun. Dass bei einem dauernden Zuviel an Arbeit und Vorhaben das Aussparen von Zeitinseln schwierig ist, ist nicht schwer einzusehen. In der biblischen Schöpfungsgeschichte ruhte selbst Gott am siebten Tag, um seine Welt, die er schuf, zu geniessen – aber wird sind ja nicht Gott.
Und wir ruhen zwar auch ab und zu, aber wir sind selten einfach faul.
Faulheit ist ja nicht einfach dasselbe wie Ruhen oder Pausen machen. Ruhe, Pause – diese beiden sind ja eigentlich die Beigaben der Arbeit, die Zwischenräume zwischen Tätigkeit und Tätigkeit. Sie passen durchaus in eine strukturierte Zeit, sind selber ein Teil davon. Faulheit ist etwas anderes. Ist ein Gegenteil, ein Widerstand, eine Verneinung, sie ist eine anarchische Form des Nichtstun. Faulheit ist etwas, so könnte man sagen, das Ewigkeit will. Sie ist eine Königin, keine Dienerin, sie ist nicht da, damit man nachher wieder tüchtig sein kann und energiegeladen und ein nützliches Glied der Gesellschaft. Sie ist nicht Teil eines Aufbauprogramms, sie ist, was sie ist: faul, im Wortsinn nichtsnutzig, zu nichts nutze.
Faulheit hat deshalb notgedrungen einen schlechten Ruf. Hatte ihn immer schon. Die beginnende Neuzeit, also die Zeit um 1600 herum, um dauernde Verfleissigung ihrer Bürger und Bürgerinnen bemüht, kannte gar einen Faulteufel, einen Teufel also, der zur Faulheit verführte. Es gab damals noch einen anderen Namen für Faulheit, den Müssiggang und der ist bekanntlich aller Laster Anfang. Wer faul ist, fällt aus den Ordnungen der Tage, fällt aus Raster, Struktur, Korsett, und wer aus den Ordnungen fällt, schweift frei herum, und wer frei herumscheift kommt auf Gedanken, und die Gedanken sind vielleicht ebenfalls frei und das alles ist höchst gefährlich, jedenfalls für die Ordnung, für die Welt der Notwendigkeiten und der Pflichten.
Faulheit hat in bezug auf Frauen einen noch schlechteren Ruf. Einen alten schlechten Ruf und einen neuen. Der alte schlechte Ruf verbindet Faulheit bei Frauen mit dem Bild der «Schlampen» oder der Luxusgeschöpfe, jener Frauen also, die entweder im Kampf für Ordnung, Sauberkeit und eine durch und durch gepflegte innere und äussere Welt versagen oder die den ganzen Tag auf der ebenfalls faulen Haut liegen und sich wonniglich dem eigenen äusseren Schein widmen. Die ersten wurden verachtet, die zweiten mit einer Mischung von Neid und Verachtung von weitem bestaunt.
Heute gelten als faule Frauen jene Frauen, die sich nur um ihre eigenen Belange kümmern, um das, was in ihrem eigenen Einzugsgebiet liegt, was notwendig ist und getan werden muss. Frauen also, die nichts für das Gemeinwohl tun, sondern alleine das, was zum eigenen Wohle und dem ihrer Lieben notwendig ist; Faule Frauen sind Frauen, die sich der Verbesserung der Welt nicht verpflichtet fühlen, auch nicht das Gefühl haben, ihr Verantwortungsradius liege auch ausserhalb ihres Hauses.
Ist demnach das Lob der Faulheit das Lob der Verantwortungslosigkeit? Ist Faulheit ein Programm oder eine notwendige Therapie?
Ich gehe einmal davon aus, dass wir, die wir hier sind, uns Faulheit nicht als Lebensprogramm verordnen würden, sondern eher als therapeutische Massnahme, dass wir Faulheit nicht als Inhalt, sondern als Haltung, die einen bestimmten «Sitz im Leben» hat, verstehen.
Faulheit nicht als kontextlose Seligpreisung des Nichtstuns, sondern als Lob des Nichtstuns in einem durch Tüchtigkeit und Fleiss bandagierten Leben. Ein Lob des Luftholens, des Sich-Auswickelns aus den Zumutungen und Aufgaben, die einem die Lunge einschnüren. Die Schnüre des Pflichtkorsetts lösen, die Welt Welt sein lassen und sich treiben lassen, das eigene Schiff zum Schwimmen bringen, es einfach vor saich hinschaukeln lassen und alle Wenn und Aber und Sollen und Müssen versinken sehen und die Hände ins Wasser halten und oihne Bedauern und ohne Schuldgefühle von sich selbst abzulassen. Hingabe an nichts und alles, höchste Konzentration und höchste Selbstvergessenheit und Abwesenheit. Die Mystik des Augenblicks, die Aufhebung der Zeit.
Das klingt so schön und ist doch so schwer. Faulsein, so scheint es, ist anstrengend, denn wer kann es schon, ohne es zu lernen, ohne es mühsam zu lernen. Und doch sollte Faulheit das Gegenteil von Arbeit sei. Faulheit ist ja eben nicht diese Arbeit an sich selbst, diese Selbstfindungspflicht, die in so vielen Kursen und durch die Lektüre so vieler Bücher vermittelt und zum Lebensprogramm so vieler Frauen geworden ist. Faulheit heisst nicht Arbeit an sich selbst, heisst nicht, herausfinden, wer man ist und was man auf dieser Welt verloren hat und mit welchem gelebten Leben man sich getrost dereinst auch vom Leben wird verabschieden können, Faulheit heisst wirklich «nichts» tun, zweckloses Nichtstun. Es heisst eigentlich: Nichtsnutze sein, für eine bestimmte Zeit jedenfalls.
Aber eben: es ist kein Programm, es ist Anarchie, das jenseits der Ordnung und des Geschuldeten und des Nützlichen. Natürlich klingt das nach etwas Absolutem und in diesem Sinne gelingt Faulheit wahrscheinlich nur ganz selten. Die Augenblicke der Mystik, des Aufgehens im Nichts, das alles ist, sind dünn gesät. Und vielleicht ist Faulheit ja nicht nur dieser höchste Moment der Selbstvergessenheit, sondern auch jenes noch vorher angesiedelte sich Schwingen lassen, dieses Hin und Her Pewndeln von Gedanke zu Gedanke, von Wahrnehmung zu Wahrnehmung, dieses sich wirklich Hängen lassen. Faulheit hat mit Trägheit zu tun, mit einer Schwere, die nicht Müdigkeit heisst, nicht, nicht mehr können und auspannen müssen, sondern eher mit Langeweile, mit eben lange Weile haben, mit gedehnter Zeit, mit unbestimmtem Warten, das ein anderer Name sein kann für Langeweile. Unbestimmtes Warten, das dünkt mich ein guter Begriff für Faulheit: es ist dies das Biotop der Phantasie, der Tagträume. Und hier ist natürlich wiedrum die Schnittstelle zum Tätigsein, denn Phantasien wollen ja auch ab und zu urbar gemacht werden, sich materialisieren in unserem Leben. Und wir sind ja doch auch keine Inselmenschen, nehme ich einmal an, wir leben in der Welt, nehmen an ihr Teil, auch wenn wir uns ab und zu von ihr Verabschieden müssen, damit wir den Atem behalten, sie auszuhalten und in ihr «nach dem rechten» zu sehen.
Die anarchische Kraft der Faulheit aber, die hat etwas zu tun mit Hingabe an sich selbst. Und natürlich ist sie unsere je eigene Sache und nicht verorderbar. Ob wir ihr nachgeben oder nicht, wann und wie oft, allein oder zu zweit, es ist unsere Sache. Und meine ganze, wahrscheinlich auch anstrengende Rede, die so viel vom Gegenteil dessen, was Faulheit heisst, handelte, sollte doch nichts anderes sein als ein Plädoyer für das Haushalten mit unseren Kräften, deren Vorrat nicht unerschöpflich ist, die nicht ewig nachwachsen, Auch wenn rundum immer noch viel mehr zu tun wäre, als wir tun können, und schon tun, ab und zu muss die Welt auf uns verzichten, nicht nur die weite, auch die nahe. Eigentlich müsste man sich ein paar Stunden im Tag unsichtbar machen können, quasi verdunsten und, das Bild ist natürlich zu schön um wahr zu sein, um anschliessend als Tautropfen wieder zurückzukehren auf den Boden der Tatsachen.
Ich weiss selber kein Rezept für das Erlernen der wahren Kunst des Faulseins, aber ich hege zumindest den ausdrücklichen Wunsch danach. Und wenn dann doch das Pflichtgefühl wiederum überhand nimmt und das Gefühl, es kämen keine nach uns, die tun, was wir hätten tun müssen, dann sage ich mir diesen Satz vor, der so schön quer liegt zu all unseren Vorhaben und doch auch so viel Richtiges und Tröstliches hat, ähnlich wie die Faulheit im Leben der fleissigen Frauen, diesen Satz, der lautet: «Rette das Ziel, triff daneben.» In diesem Sinne hoffe ich, dass wir die Ziele zwar nicht aus den Augen verlieren, aber uns hüten, gerade und ausschliesslich von uns zu erwarten, dass wir sie erreichen.
Ich danke euch für eure Ausdauer!
Silvia Strahm Bernet
© Silvia Strahm 2013 / Rede |
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