Burn on

Mit beiden Beinen auf der Erde träumen

 

Liebe Frauen

 

Ich gehe davon aus, dass es der Titel «burn on» war, der sie hergerufen hat. Der Titel klingt wirklich gut: knapp, klar, optimistisch, auffordernd, anregend. Nicht Erschöpfung, sondern Feuer soll im Zentrum stehen heute Morgen.

 

Dieses Feuer, das angezündet, angefacht, wieder entzündet werden soll, dieses «burn on» beinhaltet die Vorstellung, ein Feuer zu entzünden tue Not und müsse uns ein Anliegen sein. Und zwar nicht irgendein Feuer für irgendeine Sache, sondern eines für uns, für dieses «Wir Frauen», das uns, viele Jahre ist’s her, mal mit viel Emphase über die Lippen kam.

 

Darum geht es heute morgen und folgendes dürfen sie von mir erwarten:

 

1. Worum ging es uns? Als wir noch sichtbar(er) kämpften?

2. Was haben wir erreicht?

3. Gibt es überhaupt noch etwas zu tun?

4. Wie hält man ein Feuer, besser: sein Feuer am Leben?

 

Ich möchte uns die Sache etwas einfacher machen – die Fragen, um die es bei diesem burn on in Sachen Frauen geht, ist schwierig genug. Ich werde das Ganze nicht ganz durchgehend, aber ab und zu an einem Fall abhandeln. Und zwar an meinem. Nicht dass ich eine Feministin oder frauenbewegte Frau der ersten Stunde bin, aber ich bin doch immerhin seit mehr als 30 Jahren dabei – am Thema, und zeitweise auch an praktischen Umsetzungsanstrengungen.

 

Zum 1. Punkt: Worum ging es uns?

 

Mein Schlüsselerlebnis in Sachen Feminismus fand 1976 statt. Es war die Verlautbarung der römischen Glaubenskongregation zur Nichtzulassung der Frauen zum Priesteramt. Dieses Papier trennte mein Leben in ein klares Vorher und Nachher.

 

Naiv wie ich vorher war, glaubte ich, ich sei ein Individuum, das zufälligerweise einen weiblichen Körper bewohnt. Das Ich schien mir sozusagen der Haupt– der weibliche Körper der Nebensatz zu sein. Ich hielt mich nicht für eine Geschlechtsrollenträgerin, der man bestimmte Fähigkeiten, Lebensradien, Orte, Zuständigkeiten und Aufgaben zuweisen konnte, bloss weil ich eben eine Frau war.

 

1976 kam ich zum zweiten Mal zur Welt. Als Frau. Es war dieses Mal der Eintritt in eine Welt, bei dem ich zur Kenntnis nehmen musste, dass ich nicht in Ordnung bin. Dass ich einen grundlegenden, unüberwindbaren Mangel aufwies, nämlich den, kein Mann zu sein. «Das andere Geschlecht», hat Simone de Beauvoir in den 40er Jahren die Situation der Frauen beschrieben – das Buch habe ich in jenen Jahren, wie so viele andere, als eine Art Offenbarung verschlungen.

 

Und so begann 1976 eine ganz neue Beschäftigung mit allem, was in Reichweite lag – ich begann zu lesen und zu lesen. Bücher über Bücher, Artikel um Artikel zur Geschichte der Frauen, zur Herkunft der Frauen- und Männerbilder unserer Kultur, ja sogar weltweit, ich schaute mich nicht nur in der Kirche und Theologie um, ich begann, mich mit Soziologie zu beschäftigen, mit Ökonomie, mit Philosophie, Psychoanalyse – immer unter dem Aspekt der Geschlechterfrage. Frauenbilder im Film, in der Literatur, in der Werbung, in den Religionen. Das alles war ziemlich schmerzlich, stiess man doch überall und immer wieder auf ein ganz dürftiges und eingeengtes Frauenrollenrepertoire. Berufstätige, erfolgreiche, autonome Frauen waren zu jener Zeit in der schweizerischen Öffentlichkeit noch eher die Ausnahme als die Regel, prägten jedenfalls nicht das Selbstverständnis der Mehrheit der Frauen. Der bürgerlichen Frauen, müsste man einschränkend sagen.

 

Zusammenfassend würde ich heute und in Bezug zu unserem Thema sagen:

 

Das Feuer wurde angezündet durch die Erfahrung einer grossen Verachtung, die dem eigenen Geschlecht zukam, etwas, das ich vorher nicht erkannte. Als ob ich mit geschlossenen Augen und Ohren durch die Welt gegangen wäre. Dass einem etwas wie Schuppen von den Augen fallen kann, das verstehe ich seither. Da fiel aber nicht nur ein vertraute Wahrnehmung der Welt in sich zusammen und fügte sich mit der Zeit zu etwas Neuem, sondern man war ja nicht alleine mit solchen Erfahrungen. Es lag ja in der Luft. Es gab schon viele, die sich zu Wort meldeten, die auf die Strasse gingen, sich zeigten mit ihren Forderungen, kurz zuvor war das Frauenstimmrecht eingeführt worden.

 

Ein Schlüsselerlebnis allein genügt nicht. Das eigene Feuer mag es entzünden; damit es weiter brennt, braucht es andere und braucht es etwas, das die Erkenntnisse, die man gewonnen hat, in Taten umsetzt. Um zu ändern, was schmerzt, nicht in Ordnung ist, nicht sein soll.

 

Viele Frauen haben den Weg durch die politischen Instanzen auf sich genommen, haben auf dem politischen und juristischen Parkett umgesetzt, was wir wollten: ob wir es Gleichberechtigung nannten, Kampf gegen das Patriarchat oder Emanzipation.

 

Andere Frauen, ich gehöre zu ihnen, haben an dem gearbeitet, was man Bewusstseinsbildung nennt: wir haben geforscht, gelesen, geschrieben, Vorträge gehalten, Frauenstudienwochen organisiert, Kurse entwickelt. Es ging uns um Erkenntnis und «Empowerment», wie man es heute nennt. In ungezählten Frauengruppen haben wir vertieft, was wir wussten, uns ausgetauscht, das Denken geschärft, Freundschaften fürs Leben geschlossen, grandiose Ideen entwickelt, geträumt, uns selber überschätzt und es genossen. «Einmal im Leben, zur rechten Zeit, muss man an Unmögliches geglaubt haben». Christa Wolf, von der dieser Satz stammt, war für viele von uns eine Fundgrube für solch ermutigende Sätze. Wir haben mit solchen Sätzen gelebt. Auch mit jenem von Irmtraud Morgner: «Der grösste Fehler der Frauen ist ihr Mangel an Grössenwahn.» Grössenwahn, was für ein Begriff für uns, die wir immer kleiner von uns dachten, als wir es je waren, welch ein Balsam für uns, die wir nach wie vor kämpften gegen Selbstabwertung, Nettseinwollen, Angepasstheit.

 

Beides war wichtig: Der Kampf für Rechte, für den ungehinderten Zugang zu allem – Bildung, Geld, Ressourcen, Jobs, Macht-Positionen und das Erkennen und Benennen der Grundlagen, die Jahrhunderte lang dafür gesorgt hatten, dass uns diese Rechte vorenthalten wurden. Also die Ebene der Frauen- und Männerbilder, die Ebene dieser ganze Stereotypen, noch heute beliebt und bestsellerfähig – «Frauen kommen von der Venus, Männer vom Mars», «Wieso Frauen nicht einparken und Männer nicht zuhören können» etc. etc.

 

In der Theologie habe ich gelernt, dass die frühe Jesusbewegung sich zusammensetzte aus WandercharismatikerInnen und Ortsgemeinden: Also aus solchen, die herumgezogen sind, gepredigt haben und dies alles in allem taten in einer grossen Radikalität und solchen, die in Städten lebten, in Dörfern, die ihren Berufen nachgingen, in Familien eingebunden blieben und die deshalb um einiges pragmatischer umgingen mit den neuen Ideen und dem neuen Glauben. Gerne würde ich diese Begriffe auch auf Frauen anwenden:

 

Einige von uns sind sozusagen WandercharismatikerInnen geblieben, Frauen in Positionen, die ihnen weiterhin die Arbeit in und an feministischer Theorie und Praxis erlaubten – ohne grosse Abstriche, ohne grosse Kompromisse. Es sind nicht sehr viele. Der grosse Rest sind wahrscheinlich wir alle hier drinnen: Ortsansässige, Pragmatikerinnen, Kompromisslerinnen, erfüllt von grossen Ideen, und doch auch oftmals unterwegs im kleinen Stolperschritt.

 

Ich habe ohne Jobsharing Kinder grossgezogen, trotz und entgegen feministischer Logik, ich habe gleichzeitig in der feministischen Erwachsenenbildung gearbeitet, ein Buch geschrieben, an Büchern mitgearbeitet, Artikel publiziert, eine Zeitschrift mitbegründet und da über 20 Jahre redaktionelle Arbeit gemacht, ich habe Kolumnen geschrieben und Kurse gegeben, in Vereinen mitgearbeitet, war für kurze auf der Frauenkirchenstelle hier in Luzern tätig und bin – mit viel Glück – in der Zentral- und Hochschulbibliothek gelandet. Dass ich dies hier aufzähle und nach wie vor natürlich beim Schreiben dachte, das klingt jetzt schon etwas nach «Bluffen», dass ich es dennoch aufzähle, ist eine Folge dessen, was ich lernte: sich nicht kleiner machen als man ist. Auch etwas stolz zurückschauen dürfen auf das, was man geleistet und vielleicht nie von sich erwartet hatte.

 

Ich gehöre aber eindeutig zu den Pragmatikerinnen. Und halte Pragmatismus für das Herunterbrechen der grossen Ideen in die eigenen ziemlich kleinen Hände. Ich habe kein Problem damit. Vieles ist furchtbar kompliziert auf dem Boden der Tatsachen – was nicht gegen die grossen Ideen spricht, ohne die Ideen würde man die Tatsachen nicht mal richtig sehen – weder was ist, noch, was zu ändern ist. Ich bin froh um die Streiterinnen, die Unerbittlichen; sie helfen zu sehen, wo man die Abstriche macht und wie es besser zu machen wäre. Sie halten die Spannung aufrecht zwischen dem was man wollte, jetzt tut und nicht aufgeben will.

 

2. Was aber haben wir eigentlich erreicht?

 

An jenen Orten, an denen wir kämpften, in eigener Sache?

 

Viel. Sagt man. Deshalb bleibt auch nichts mehr zu tun, hat sich der Kampf erübrigt, ist denn auch der Satz, der folgt. Viel haben wir erreicht, eigentlich alles, was wichtig ist: Verfassungsmässige Rechte, Gleichheitsgrundsatz samt Gleichstellung, ein neues Eherecht, Zugangschancen zu Bildung, Jobs, Karrieren. Es gibt neue Sprachregelungen, Sexismen werden als solche nicht mehr einfach toleriert, Gewalt gegen Frauen wird schärfer geahndet, ihre körperliche Integrität mindestens auf Gesetzesebene vermehrt geschützt. Auch auf jener Ebene, die wir «Aufklärung», Bewusstseinsbildung nennen, haben wir sicherlich etwas in Gang gebracht. Wenn ich mir mein genuines Arbeitsfeld, d.i. die katholische Kirche, anschaue, dann hat es zwar kaum etwas bewirkt auf der Ebene der Institution, aber wir sind Selbstversorgerinnen geworden, haben uns etwas geschaffen – Frauenkirche nennen wir es voller Stolz – und werden darin auch unterstützt.

 

Wir sind überall, wo wir hin wollten. Oder besser: wir können überall hin, wenn wir denn wollen. Die Türen sind offen. Nur hereinspaziert Madam! Wenn es denn drinnen nicht mehr so schön ist, wie es von aussen aussieht: na ja, alles kann man eben nicht haben. Man ist auch nicht immer willkommen, strömen zu viele hinein – siehe Gymnasium, Universität – dann ist das ein ganz grosser Schock. Wo kommt Mann denn noch hin, wenn Frauen jetzt zu Rivalinnen werden? Wenn es für sie kein Halten und Zurückhalten mehr gibt – nicht durch Kinder, nicht durch Küche, schon gar nicht durch Kirche? Wenn man heute die Kommentare hört und liest zu einer Entwicklung, die eigentlich völlig normal verläuft – Frauen nehmen ihre Chancen wahr und Männer, lange verwöhnt durch eine Art «biologischen Mehrwert», den sie sich selber zusprachen, Männer geraten unter Druck durch Frauen, die ihnen inzwischen in einigem voraus und überlegen sind, ja dann bekommt man den Eindruck, die Frauen würden demnächst die Weltherrschaft antreten.

 

Dass dahinter eine enorme Verzerrung der Wahrnehmung liegt, zeigt die Studie des World Economic Forums: Die Frauen, liest man da, sind in der Schweiz stärker benachteiligt als etwa in Weissrussland oder Lesotho. Innert einem Jahr ist die Schweiz bei der Gleichstellung um 14 Plätze auf den Platz 40 zurückgefallen. Die Gründe: markante Lohnungleichheit, Mangel an Kinderkrippen und Teilzeitstellen für Frauen und Männer.

 

Trotzdem: wir haben viel erreicht. Und es geht weiter. Zumindest auf der politischen Ebene. Neue Schulmodelle, Kinderkrippen, Dinge, von denen ich noch träumte, sind jetzt realisiert und werden weiter entwickelt. Die Vereinbarkeit von Familie und Berufsarbeit ist, zumindest theoretisch, einfacher geworden. Und gerade dieser Schritt war einmal eine Art Grundgesetz des Feminismus: jede Frau muss versorgungsunabhängig sein, auf eigenen finanziellen Füssen stehen, damit sie ihr Leben wirklich frei wählen kann, unabhängig von einem Ehemann.

 

Alice Schwarzer ortet in ihrem neuesten Buch mit dem Titel „Die Antwort“ hier den Handlungsbedarf in Sachen Feminismus heute. Das «Handicap Kind» ist für sie noch immer der Stolperstein für Frauen auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Der Rest ist getan, schreibt sie: Die Gesetze sind reformiert, die Revolution in den Köpfen hat stattgefunden, aber die tiefgreifenden Veränderungen familiärer und gesellschaftlicher Strukturen stehen noch aus. Die heutige Falle für Frauen heisst in ihren Augen nicht mehr Beruf oder Familie, sondern «Teilzeitarbeit». Viele Frauen strebten nämlich Jobs an, in denen sie Teilzeit arbeiten könnten, um später Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Teilzeitjobs sind aber in der Regel schlechtere Jobs, Jobs ohne grosse Karrierechancen und vor allem auch mit niedrigem Lohnniveau. Die Abhängigkeit von einem allfälligen Ehemann bleibt so bestehen. Recht behält dann auch die These: Die Frau ist nur einen Ehemann weit von der Armut entfernt. Der Beruf darf also, so Schwarzer, kein Pausenfüller sein und auch keine Zusatzbeschäftigung. So klar, aber auch so schwierig, würde ich meinen. Klug und weitsichtig, feministisch sicherlich korrekt, fügt sich diese Forderung bestens in die neoliberale Ökonomie, die uns alles abverlangt, vor allem aber verlangt, dass unser Hauptaugenmerk der Bewährung auf dem unerbittlichen freien Markt gilt: Flexibilität, lebenslange Weiterbildung, Umschulungen, Neuorientierungen, Wohnortswechsel u.v.m. Dass ein Leben mit Kindern allenfalls ein anderes Tempo verlangte und andere Prioritäten, allenfalls auch Zweifel nähren könnte an dem ganzen Weltbetrieb, wie er heute funktioniert oder eben auch nicht wirklich funktioniert, das bliebt ausgeklammert. In unseren durchökonomisierten Gesellschaften wird das Kind den Ruf, ein Handicap zu sein, nicht wirklich los.

 

3. Gibt es überhaupt noch etwas zu tun?

 

Ja, sagen wir also. Wir Altfeministinnen. Wir schauen uns die jungen Frauen an und denken: wir müssen wachsam bleiben. Sie tun es nicht. Sie lachen uns aus, sie scheuen den Feminismus als sei es eine ansteckende Hautkrankheit: eklig zum Anschauen, stigmatisierend, entstellend. Feminismus ist nicht sexy, heisst es. Oder: Feminismus muss sexy werden. So redet man heute. Sexyness muss dabei sein, sonst kannst du es glatt vergessen.

 

Einen sexy Feminismus? Was das wohl ist? Es muss wohl etwas mit Lifestyle zu tun haben – ein anderes dieser neuen Wohlfühlworte: sicher darf er nicht Angst machen, muss irgendwie witzig sein, auch scharf, aber schonend scharf. Ich sehe mir die jungen Frauen an mit den nackten Bäuchen, dem Handtäschchen und dem grossen Maul und einem Selbstbewusstsein, bei dem ich heimlich und mit etwas Scham denke «wie arrogant die sind», «wie blöd die sind» ... und weiss nicht, ist das jetzt das, was wir wollten: Ist das jetzt dieses Selbstbewusstsein gepaart mit eben diesem Grössenwahn, den wir uns euphorisch mal auf unsere imaginären Banner schrieben? Machen sie, was wir uns nie trauten: wissen, was sie wollen, es sich holen und dabei noch die Sex-Karte ausspielen, und sie in den eigenen Händen behalten? Ich bin unschlüssig. Und schaue weiter hin und denke mir: ja, vielleicht muss man warten, bis sie ihre Schlüsselerlebnisse in Sachen Frauenfragen haben. Vielleicht muss man in der Zwischenzeit einfach weiter tun, was zu tun ist: Sagen, was Sache ist, ob es um das Sturmgewehr im Schrank geht, um Frauenhandel, inakzeptable Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern, um das versuchte Totsparen des Staates, um ihn möglichst schwach zu kriegen. Gegen diese ganze schamlose Bereicherung, oder gegen dieses Gejammer darüber, dass Frauen keine Kinder mehr kriegen, als ob es nach wie vor Frauen sind, die Kinder kriegen und nicht Paare.

 

Nach wie vor müssen wir aufpassen, habe ich vorhin gesagt: wir glauben, dass Dinge unumkehrbar sind, wir glauben es gern. Niemand will damit rechnen, immer wieder von vorne anfangen zu müssen. Und doch sehen wir, wie gewisse politische Kräfte sich daran machen, alte Solidaritäten beispielsweise im Bereich Gesundheitswesen, AHV etc. abzuschaffen oder es mindestens unter dem Stichwort «Selbstverantwortung» oder «Privatisierung» propagieren. Wir Frauen werden nie mehr so leben wie in den 50er Jahren. Das glauben wir. Und wir können das natürlich gerne glauben, wenn wir denn auch alles unternehmen, um es nicht dahin kommen zu lassen. Das gehört dazu. Dass wir uns informieren, dass wir wissen, was um uns herum passiert. Dass wir selber denken, uns eine Meinung bilden, die Manipulationen durchschauen. Das klingt nach Selbstverständlichkeiten, aber es sind – leider – keine Selbstverständlichkeiten. Und wenn ich sehe, wie viele Leute 20 Minuten lesen anstelle einer Tageszeitung, wird mir Angst und Bange. Um fähig zu sein, gute Entscheidungen zu treffen, wohlbegründete Entscheidungen, braucht es unser Interesse und vielfältige Informationen. Was mich etwas beruhigt: Eine Mehrheit der Frauen wählte im Dezember 2007 links – d.h. für sozialen Ausgleich, für sorgfältigen Umgang mit Ressourcen, etc. Das lässt hoffen.

 

Nach wie vor gibt es viel zu tun auf der Ebene der Bilder, der Symbole, des Bewusstseins eben, das die gesellschaftlichen Verhältnisse begleitet, unterstützt, durchdringt. Antiquiierte Frauen- und Männerbilder tauchen wellenartig immer wieder auf, Gott ist auch nach Jahrzehnten feministischer Kritik noch immer ein Mann geblieben, Männer wählen als Partnerinnen nach wie vor Frauen, die ihnen unterlegen sind, Frauen, heisst es im Gegenzug, stehen nach wie vor auf jene Männer, die gut verdienen und sozialen Status besitzen. Der Weg in eine Welt, die sich von alten Geschlechtsrollen und Arbeitsteilungen verabschiedet, ist noch weit.

 

Das lässt sich gut an einem Beispiel verdeutlichen, das bei mir immer wieder Pausengespräch ist, nämlich der Frage: Wenn würdest du wählen Hillary oder Obama? Diese Frage ist eine Art Testfall für das, was wir denken und wie wir argumentieren. Und zeigt, wie widersprüchlich oft unsere Interessen sind.

 

«Hillary Clinton ist kalt, zu kontrolliert, zu ehrgeizig», sagt mir ein Kollege. «Nicht wirklich eine Frau mehr.»

«Wie soll eine Frau Präsidentin der Vereinigten Staaten werden, wenn sie nicht ehrgeizig ist, nicht kontrolliert?» Wende ich ein.

«Ja, aber mit ihr ändert sich doch nichts, weil sie nicht anders politisiert als irgendein Mann.»

«Gut, aber wenn denn die Frau nicht anders politisiert als irgendein Mann, dann politisiert sie offensichtlich auf der gleichen Ebene, das heisst so gut wie er oder so schlecht wie er. Das wäre demnach eine Art Pattsituation. Beide sind gleich gut oder gleich schlecht. Dann kann man also mit guten Gründen die Frau wählen.»

«Ja schon, aber ... »

 

Die Diskussion ist immer dieselbe. 1. Frauen müssen mehr Qualitäten mitbringen, müssen eben «besser sein» als ein Mann, um eine Spitzenposition, wo auch immer, zu kriegen. 2. Besser heisst anders, wie anders, weiss niemand so recht, weil 3. anders sicher nicht heissen darf: wie eine Frau sein resp. Eigenschaften oder Verhaltensweisen mitzubringen, die man Frauen zuordnet. Die disqualifizieren sie eher als dass sie sie aufwerten.

 

«Die Emanzipation ist erst dann vollendet, wenn gelegentlich auch eine total unfähige Frau in eine verantwortliche Position aufrücken kann», schrieb einmal Heidi Abel. Niemand wünscht sich das, aber auch niemand wünscht sich dort unfähige Männer und leider, so unsere Erfahrung, finden wir dort vorwiegend Männer.

 

Besser als die Frage, Frau oder Afroamerikaner wäre ja noch immer die Frage, wer das bessere politische Programm hat, ungeachtet seines Geschlechtes oder seiner Rasse. Aber auch da weiss man inzwischen, dass politische Programme Wahlpropaganda sind und nicht tatsächliche politische Agenda. Also ist man wieder in etwa gleich weit.

 

Und das bedeutet: Wir sind noch weit davon entfernt, dass das Geschlecht eine untergeordnete Rolle spielt, sozusagen zur neutralen Qualität wird, mit dem wir keine speziellen Forderungen und Weltbilder verknüpfen. Und wir sind erst dann wirklich weiter gekommen, wenn es nicht mehr heisst, wie bei Hilary Clinton, als Reaktion auf ein unvorteilhaftes Photo: «Wollen wir dieser Frau wirklich Tag für Tag beim Altern zusehen?» Oder als Reaktion auf ein paar Tränen: «Heult sie sich jetzt ins Weisse Haus?»

 

Vorerst lernen wir aus solchen Bemerkungen noch: Ehrgeiz bei einer Frau ist Kälte und mangelnde Weiblichkeit – man sollte dieser Frau nicht trauen, d.h. man sollte sie nicht wählen. Tränen hingegen sind typisch weiblich und Zeichen von Schwäche und disqualifizieren die Frau für ein solches Amt. Man sollte sie also nicht wählen. Was schliessen wir daraus: Wie immer sie sich verhält, man sollte sie besser nicht wählen. Eine andere Lösung scheint es nicht zu geben, wenn man mit der Geschlechtskarte argumentiert. Soweit zu Hillary und Obama.

 

Zurück zu uns.

 

4. Wie hält man das eigene Feuer am Leben?

 

Indem man hinein bläst, immer wieder oder sich hinein blasen lässt. Dem Feuer Nahrung gibt.

 

Bei mir hilft Wut. Die Feststellung, noch wütend werden zu können, ist tröstlich. Dass ich mich mit vielen Dingen einfach nicht abfinden kann, auch wenn sie seit Jahrzehnten als Thema scheinbar aus der Welt geschafft sind. Ein winzig kleines Beispiel: Immer wieder stehen in er ZHB junge Frauen vor mir, die mich voller Stolz bitten, ihren Namen zu ändern, weil sie jetzt geheiratet haben. Soll ich einen Doppelnamen schreiben, frage ich nach, nein, nein, nicht nötig, nur den neuen, das reicht. Ich könnte mir die Haare raufen. Ein Detail, finden viele. Ja, aber in diesen Details verdichtet sich sozusagen die Welt. Meine 18-jährige Kollegin, die mich ausrufen hört, fragt: Bist du eine Feministin? Ja klar, antworte ich ihr, das muss man sein, oder etwa nicht? Ja, manchmal schon, meint sie. Sie macht mich damit fast ein wenig glücklich.

 

Wut hilft, aber nur, wenn sie in Taten Ausdruck finden kann. Wenn sie produktiv wird, etwas kreiert und nicht nur den inneren Druck mindert.

 

Man muss wissen, was man will, nicht nur für sich, auch für andere. Man darf das Träumen nicht verlernen und muss doch mit beiden Beinen auf der Erde bleiben, wie es Christa Wolf uns in ihrem wunderschönen Satz formulierte: «Mit beiden Beinen auf der Erde träumen.»

 

Weiter die alten Träume träumen, nicht aus Unverbesserlichkeit und Sturheit und weil man nicht merkt, dass sich die Zeiten eben ändern, sondern weil sie noch nicht eingelöst sind. «Ich kann meine Träume nicht fristlos entlassen, ich schulde ihnen noch mein Leben», habe ich einmal gelesen, der Name der Autorin ist mir entfallen. Das klingt in diesem Zusammenhang gut. Wir schulden unseren Träumen von Gerechtigkeit, von Geschlechtergerechtigkeit, noch immer unser Leben, unsere unermüdlichen Versuche, sie zu realisieren. Wir schulden unseren Träumen sicher auch eine genaue Analyse, das, was jetzt zu tun ist, in dieser konkreten Situation. Der Schweizer Philosoph Ludwig Hohl hat dazu eine für mich sehr brauchbare Formulierung gefunden, auf die ich immer wieder zurückgreife:

 

Das weltverändernde Tun besteht aus drei Schritten, schrieb er:

1.  Der grossen Idee

 

2.  Der Übersetzung der grossen Idee in Einzelideen, Ideen des Einzelnen

 

3.  Der Übersetzung der Einzelideen in die nächsten Schritte. Die meisten Scheitern beim letzten Punkt. Die grosse Idee nützt nichts, die grosse Sehnsucht nützt nichts, schreibt er, wenn sie keine Übersetzung findet im Tun des Nächsten, nicht mündet in den konkreten nächsten Schritt.

Das alles ist natürlich furchtbar anstrengend. Mein eigener Elan hat schon um einiges nachgelassen. Meine Unerbittlichkeit hat sich abgeschliffen. Das ist normal, sagt man mir. Das hat mit dem Alter zu tun und mit der Dauer des Engagements. Das tröstet mich aber nicht. Ich hätte gerne noch von Zeit zu Zeit diese «Sturm und Drang» Phase und diese optimistische Kraft, die mich glauben liess, ich könne, zusammen mit anderen, die Welt ändern, aus den Angeln haben, besser machen. Und ich hätte noch unentdeckte Möglichkeiten im Sinne von «Was ich bin, haben ich und die Welt noch nicht gesehen».

 

Träume. Sicher. Aber eben: man kann sie nicht fristlos entlassen, man schuldet ihnen noch sein Leben.

 

Manchmal klingt das dann so wie bei einer meiner Lieblingsautorinnen, bei der US-Amerikanerin Grace Paley, die es in ihrer unnachahmlichen, ernsthaften Verrücktheit, so formuliert:

 

«Nun, es stimmt, ich bin knapp an Bitten und unbedingt Erforderlichem. Doch ich will etwas.

 

Ich will zum Beispiel ein anderer Mensch sein. Ich will die Frau sein, die diese beiden Bücher in zwei Wochen zurückbringt. Ich will die tatkräftige Bürgerin sein, die das Schulsystem ändert und die den Staatshaushalt über die Missstände in diesem reizenden städtischen Zentrum informiert. Ich hatte meinen Kindern versprochen, den Krieg zu beenden, bevor sie erwachsen würden.»

 

Ich weiss nicht, was Sie versprochen haben und wem. Aber ich denke, diese Form der Verrücktheit braucht es, um dabei zu bleiben. Diesen Grössenwahn. Als eine Art Tritt in den müden Hintern, der sich oft am liebsten einfach zur Ruhe setzte: nichts sehnen, nichts hören, nichts sollen und müssen.

 

Was können wir tun, welches sind die notwendigen Übersetzungen der grossen Ideen in die nächsten Schritte?

 

Biologie, also Frau sein, ist kein politisches Programm, schreibt die Schweizer Soziologin Regula Stämpfli. Das stimmt wohl. Nicht die Biologie ist Programm, aber ihre negativen Folgen in Gesellschaft, Wirtschaft, Politik. Und die gehören sehr wohl auf jede politische Traktandenliste.

 

Was kann das konkret heissen? Das kann bedeuten, dass wir uns umschauen und wach bleiben für das, was getan werden kann. Ob wir uns an Unterschriftensammlungen beteiligen für Dinge, die uns wichtig sind, ob wir uns in politischen Parteien oder Vereinen für das Gemeinwohl engagieren, ob wir Leserinnenbriefe schreiben, uns in die Kampagne gegen Frauenhandel im Zusammenhang mit der Euro 08 einklinken. Was auch immer: Wir können uns auch ganz einfach zusammentun, Frauengruppen ins Leben rufen. Endlich beginnen, gemeinsam die Wirtschaftsseiten der Zeitung zu studieren, die Börsenentwicklungen lesen lernen, Dinge tun, von denen wir uns bisher gerne dispensierte, weil sie nicht in unsere Welt passten – obwohl sie genau diese Welt prägen, beeinträchtigen, allenfalls gar zerstören.

 

Alles, was ich gelernt habe, was mir gut tat und mich auf dem Weg hielt, hat mit Frauen zu tun, mit denen ich in Frauengruppen gearbeitet habe, mit denen ich noch heute regelmässig zusammen komme, um auszutauschen, bei Bedarf etwas zu planen, zu organisieren, in die Wege zu leiten.

 

Es sind ja eben nicht nur die grossen Ideen, die ich eins zu eins umsetzen muss. Es sind die kleinen konkreten Schritte, die nicht entwertet sind durch die grosse Idee, die als Vision noch immer vor uns liegen mag. Es genügt manchmal, wenn ich in der Migros die Herkunft der Tomate studiere und sie vielleicht wieder zurücklege, dass mich die Arbeitsbedingungen der OrangenpflückerInnen aus Marokko interessieren und ich deshalb die Zeitung lese und vielleicht die Erklärung von Bern zu Rate ziehe und das Naturaline T-Shirt kaufe anstatt jenes aus dem H&M. Dass ich feministische Initiativen oder Hilfswerke finanziell unterstütze, oder für sie werbe oder mich ehrenamtlich in einem Frauenprojekt engagiere. Das sieht nicht immer nach viel aus, ist aber etwas. Ist ein Tun und ist ein Lassen. Und gerade solches Tun und Lassen wirkt sich aus – ohne solches Tun oder Lassen gäbe es keine Max Havelaarstiftung, keine veränderte Unternehmenspolitik bei Nike etc., oder kein feministisches Hilfswerk wie den cfd.

 

Wenn ich mit wachen Augen durch die Welt gehe, dann macht mir vieles Angst, vieles macht mich wütend, hilflos, traurig, müde. Vor meinen Augen geschehen die ungeheuerlichsten Dinge und ich kann nichts dagegen tun.

 

Und ich sage mir: Leben ist immer ein Hin und Her zwischen Wollen und Hinnehmen müssen, zwischen Kämpfen und Müdewerden, zwischen Optimismus und Pessimismus. Der tschechische Autor und ehemalige Staatspräsident Vaclav Havel schrieb dazu etwas, das ich unterschreiben würde:

 

«Ich bin kein Optimist, weil ich nicht sicher bin, ob alles gut enden wird. Aber ich bin auch kein Pessimist, weil ich nicht sicher bin, dass alles schlecht ausgeht. Ich trage nur Hoffnung im Herzen. Hoffnung ist das Gefühl, dass das Leben und die Arbeit einen Sinn haben. Und man kann, unabhängig vom Zustand der Welt, die einen umgibt, daran festhalten. Ein Leben ohne Hoffnung ist leer, langweilig und nutzlos.»

 

Langweilig wird es nicht sein, wenn wir an der Hoffnung festhalten. Interessant wird es sein. Wenn man in China jemandem etwas Schlechtes wünschen will, dann wünscht man ihm oder ihr ein interessantes Leben. Wie auch immer oder dennoch:

 

Ich habe lieber ein anstrengendes, kompliziertes Leben als ein langweiliges. Ich mag es, wenn es interessant ist. Weil es vielfältig ist, mich neugierig blieben lässt, weil es anregend ist. Und dann nehme ich mir immer wieder zu Herzen, was die schon einmal zitierte Grace Paley schreibt:

 

«Mein Sohn, Sie müssen wissen, dass Wahnsinnige vorhaben, diesen so schön geschaffenen Planeten zu zerstören. Dass der Mord an unseren Kindern durch diese Menschen Ihnen Schrecken und Kummer bereiten wird und dass man ab sofort besser daran täte, dies mit jedwedem täglichen Vergnügen zu durchkreuzen.»

 

Dieses jedwelche tägliche Vergnügen gehört zur Arbeit an der Veränderung. Es gehört dazu das Geniessen, die Zeit für Freundinnen und Freunde, das Abtauchen in ein Buch, das Vergessen im Kino, die abendfüllenden Gespräche bei einem Glas Wein, das Morgenrot, das lauthals Singen, auch das falsche, alles, was Spass macht, dem Körper wohl tut, die Sinne kitzelt, zu Höhenflügen inspiriert, das Überschäumende im Leben feiert. Und es gehört das Lachen dazu, das Wissen um die eigenen Widersprüche, um die grossartigen Ideen und die kleinen Probleme, die manchmal grösser sind als die grossen: In diesem Sinne möchte ich hier abschliessen mit einem Lied von Vera Kaa, das diesen Widersprüchen Ausdruck gibt, die ein Teil der meisten von uns sind und sicher auch bleiben dürfen, damit uns das Lachen nicht vergeht: Es trägt den Titel «Cellulitis Blues.»

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2013 / Rede