«Leichter Wind»

 

Beichtstühle mit weissen Tüchern und leichtem Wind zu versehen, ist schon ein starkes Stück.

 

Das Ganze «Wehe» zu nennen oder «Wehe(n)» hätte mir weniger Probleme bereitet. Es wäre näher gewesen bei dem, was ich weiss, gelernt habe, selber erfuhr:

 

Dass es diese so harmlos erscheinenden Häuschen mit dem Schweren zu tun haben. Im grossen Raum der Kirche mit ihren ausholenden Gesten, ihrem weiten Horizont zwischen Schöpfung und Erlösung, verkörpern sie die Enge und das Beklemmende. Wer hier eintritt, zieht den Kopf ein, macht sich klein, kniet hin und bekennt. Was er, was sie lieber verschweigen würde.

 

Die Beichtstühle sehen aus wie wuchtige Schränke mit Schnitzerein und Verzierungen. Nur die Türfallen und Gitter lassen ahnen, dass sich dahinter nicht Sonntagsgeschirr und Familiensilber befinden, sondern unangenehmere Dinge: Schuld, Verfehlungen, Grenzüberschreitungen.

 

Diese Schränke sind genau besehen Filtersysteme und Reinigungsanlagen. Wer hier herauskommt, ist, wird uns versichert, ein wenig wie neu. Aber zuvor muss er, muss sie sozusagen durch den eignen Dreck. Muss ihn erinnern, benennen, bekennen und geloben, das Beschmutzende in Zukunft möglichst zu meiden.

 

Reinheit. Darum ging es, seit Anbeginn. Ein reines Gewissen, ein reines Herz, einen reinen Körper. Saubere Hände, weisse Westen. Nur die Kirche wäscht wirklich rein, reiner geht’s nicht. Die Tücher, die hier hängen, könnten gut und gerne starren vor Schmutz. Aber sie sind weiss. Nicht, was man zurücklässt, sondern was man gewinnt, zeigt sich im luftigen Tuch, das nur leicht weht. Kein Sturm im Inneren bläht es auf. Keine Böen, Windstösse, kaum Geräusche. Was dort drinnen ist und geschieht, ist seltsam verhalten und stumm. Dringt nicht nach aussen oder nur als Erleichterung. Das Schwere wird zurückgelassen, und was hier ein klein wenig weht, ist die Beschwingtheit und Leichtigkeit des versprochenen Neubeginns.

 

Oder ist es bloss der Schleier, der über allem liegt? Der das Geheimnis anzeigt und die Faszination dessen, was man nicht sieht, aber ahnt. Über all den vielen Worten, die im Inneren erzwungen werden, weht der weisse Schleier des Verbergens. Der die Neugier weckt, wie alles, das man zu verstecken sucht.

 

Aber vielleicht ist alles ganz anders. Vielleicht geht es einfach darum, etwas anderes zu tun, als erwartet wird. Den Ort der Schuld und des Bekennens von Schuld zu etwas werden zu lassen, das man mit Leichtigkeit bezwingt.

 

Die Schuld und die Verfehlungen, um die es in diesen Häuschen einst ging, machen sich inzwischen klein und führen eine Nischenexistenz.

 

Die Beicht-Orte liegen nicht mehr nur aus praktischen Gründen, sondern sinnigerweise am Rande des Kirchenraumes: Das, wovon sie sprechen, wird in den Kirchen selbst immer mehr zum Randphänomen. Nicht das Bekennen von Mangel und Schuld, sondern das Bitten und Betteln um Hilfe und Zuwendung ist zentral. Der Herr und Richter thront zwar weiterhin relativ unangefochten in seinen Himmeln, der Sohn hängt nach wie vor anklagend an seinem Kreuz, es ist für viele jedoch die Mutter Maria, die bindet, beheimatet und tröstend stützt. Die Mehrzahl der Menschen, die hier unter der Woche eintreten, sitzen in der Marienkapelle. Für fast alle Kirchen gilt die Regel: dort, wo die meisten Kerzen brennen, sind die Gottheiten, die tatsächlich im Zentrum der religiösen Bedürfnisse stehn.

 

Wenn heute gebeichtet wird, dann nicht mehr in den Kirchen, sondern vornehmlich öffentlich: wer prominent ist, tut es in Büchern, die gewöhnlichen Leute reden sich im Fernsehen frei. Neu ist das nicht. Dass mann und frau Schuld und Verfehlungen öffentlich bekennt, ist nicht nur die Folge einer grassierenden Sucht nach Aufmerksamkeit, auch die frühe Kirche begann ihre Busspraxis mit dem öffentlichen Bekenntnis. Der Unterschied zwischen damaliger Beicht-Praxis und heutigem Bekenntnisdrang mag sein, dass man früher durch Öffentlichkeit Scham und Beschämung, heute hingegen Stolz erzeugt.

 

Vielleicht ist der leichte Wind, der aus diesen Stühlen weht, einfach ein Indiz für Entdramatisierung: Was hier drinnen bekannt wird, rüttelt an wenig nur, erzeugt nur leichte Blähungen im grossen Verdauungsapparat Welt. Kaum ein Mensch klopft sich mehr mit der Faust auf die Brust und bekennt: «durch meine Schuld, durch meine Schuld, durch meine übergrosse Schuld». Und mit dem Verschwinden des Bekennens von Schuld löst sich auch die Scham in Luft auf – das Versagen im grossen Stil oder in banalen Alltäglichkeiten muss nicht mehr auf die Knie. Manchmal ist das durchaus bedauerlich.

 

Wie auch immer. Die weissen Tücher irritieren. Und auch der leichte Wind. Vor allem bei einem, der einen Hang zum Feuern hat, zum Sprengen und Knallen lassen, zum Lauten und Heftigen. Der «Schweizer Sprengmeister», wie ihn kürzlich der Tages Anzeiger nannte, übt hier vornehme Zurückhaltung. Vielleicht auch auf Bitten des Pfarrers der Kirche. Wer weiss. Vielleicht hätte er ganz andere Dinge gerne ausprobiert. Spektakulärere. Auffälligere. Aber Roman Signer versteht sich ja auch auf die ganze leisen, poetischen Töne und die verhaltenen Bilder. Eines davon haben wir hier vor uns.

 

Und auch der Schalk des Spielers ist nicht zu unterschätzen, der Erwartungen unterläuft. Was kann man noch sehen, wenn man alles schon weiss? Anderes sehen und damit anders sehen, das reizt die Neugier und den viel zu bequemen Blick.

 

Und so hört man hier weder das Zischen von Zündschnüren noch Explosionen, nichts von dieser auch unseligen Beicht-Geschichte wird einem um die Ohren geschlagen, nur Ventilatore im Inneren erzeugen einen leichten Wind.

 

Kein Wort, keine Gesten der Scham, keine Sündenlisten, keine Selbsterniedrigungen dringen nach aussen. Keine Klagen sind zu hören. Kein Urteil wird gefällt. Nur weisse Tücher bauschen sich. Keine Dramatik. Keine Wut. Die man hätte erwarten können. In irgendeiner Form. Die ich erwartet hätte, in irgendeiner Form. Nur dieses irritierende, beinahe versöhnliche Lüftchen aus dem Inneren. Als wäre wirklich die Luft draussen. Als wäre hier nur noch Harmlosigkeit, die Ruhe nach dem Sturm. Als blieben wir unbehelligt. Als ginge uns das nichts mehr an und wir könnten ihm getrost, wenn auch nicht getröstet, den Rücken kehren.

 

Mach nicht so viel Wind!  – Ein Satz aus Kindertagen, lange nicht mehr gehört, aber nun wieder erinnert. Vielleicht bin ich einfach ein gebranntes Kind, das das Feuer suchte, aber hier nicht findet – anstelle des Schweren und Beklemmenden gibt man ihm den überraschend leichten Wind.

 

Ich weiss letztendlich nicht, wieso Roman Signer dem Beichtstuhl soviel Zartheit gönnt. Unerwartet ist es allemal und vielleicht ist ja das die Zündschnur am Holz – dass das alles der Schwere entbehrt. Dass es so leicht ist. Und doch ein Geheimnis birgt. Und einen Schleier darüber breitet, der sich nicht lüftet, nur bauscht. 

 

Ganz wenig nur ist hier zu sehen. Der grosse Rest ist zum Grübeln, Erinnern und zum Denken da. 

 

Ich danke für die Aufmerksamkeit

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

23.10.2006, Rede zur Vernissage von Roman Signers Beichtstuhlinstallationen in der Kirche St.Maria zu Franziskanern in Luzern, Schweiz

 

© Silvia Strahm 2006 / Rede