Werdet mit Gott nicht zu vertraulich

 

So fremd ist er ja nicht

 

Ach Gott – wäre er uns nur etwas fremder, wären wir mit ihm bloss nicht so vertraulich, auf Du und Du, ohne dieses stetige „mach, gib, komm, hilf“.

 

So fremd ist er ja nicht. Tausende von Bildern gibt es, Hunderte von Worten, zweitausend Jahre voller Theorien, die das Unmögliche versuchen: Das Unsagbare zu sagen und doch daran festzuhalten, dass sich das Göttliche nicht fassen lässt. Gott, das Geheimnis der Welt, beschrieben auf Millionen von Seiten. Der „fremde Gott“ ist ein frommer Wunsch, voller Respekt und Furcht, immer im Widerspruch zwischen Reden und Schweigen, Neugier und Nichtwissenkönnen. Sich kein Bild zu machen blieb eine Vorgabe, die nur halbherzig befolgt wurde. Gottes grauhaariges Männerhaupt von Kirchenkuppeln und Gemälden herab zerstreut jeglichen Zweifel darüber, wer Gott ist. Auf Wolken thronend, inmitten von Engelscharen sitzt ER, die Welt zu seinen Füssen. Unumstrittener Herrscher über alles, was existiert. Weltberühmt sein Finger, kurz vor der Berührung mit jenem von Adam, dem Menschen, den er sich schuf, damit ein Abbild von ihm in der Welt sei. Als ob hier noch alles aufzuhalten gewesen wäre. Der festgehaltene Moment, bevor der träumende Adam ins Leben erwacht – ein Innehalten, ein kurzes Zögern Gottes? Wohl eher nicht, nur die gesteigerte Spannung, die Sanftheit der Geste und die Dramatik der Folge: der Mensch von Gottes Hand. Dass Gott gezögert hätte, als er den Menschen schuf, manch einer hätte es verstanden, aber erst später, dort als er dem Menschen die Frau als Ergänzung gab. Um ihren Nutzen zu verstehen, mühten sich Theologen über Jahrhunderte hinweg mittels ausgeklügeltster Theorien, besser: mit durch Vernunft überschminkter Verachtung. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Gott, der Mann

 

Nur dass das nicht stimmt, dass es diese andere Geschichte nicht gibt, nicht so, als wäre sie nur ein unbedeutendes Nebenthema, der eine Missklang im ansonsten harmonischen Lied. Es ist ein und dieselbe Geschichte mit Rollen, die von Anfang an klar festgehalten sind: Zuerst kommt der Mann, dann der Mann und dann noch einmal der Mann und irgendwann, weit hinten, die Frau. Das ist im Himmel so und auf Erden erst recht.

 

Zu behaupten, dass Gott ein fremder Gott sei, scheint gewagt. Man(n) hat ihn seiner Fremdheit beraubt, gezähmt, so dass er an der Leine geht, zum Manne abgerichtet und damit seiner unendlichen Vielfalt beraubt. Er ist selten mehr als der Schatten, den Männer auf die Welt werfen, ein Gemisch aus Wunsch und Realität. Gott – jenseits des Geschlechtes und doch immer wie ein Mann, wie der Traum des Mannes vom Mann: gross, mächtig, stark, unverletzbar und ausgestattet mit höchster Autorität. Immer wieder zum Krieger gemacht, zum König, unbeugsam, herrisch, cholerisch, manchmal auch sanft, liebevoll und versöhnlich, aber das meist am Rande. Eher ist er ein Unbesiegbarer, ohne Schwächen, auch wenn er ab und zu zu Jähzorn und Gewaltausbrüchen neigt und ganze Völker schlachten lässt. Nur allzu gut erkennen wir in ihm das, was wir auch sonst in der Welt am Werk sehen. Viel eher noch als zu klagen, dass das Göttliche unendlich fremd bleibt, müssten wir bedauern, dass es nicht fremder ist, dass es, zum Schaden der Frauen, nicht aufhört, ein er zu sein, und dass wir es nicht fertig bringen, bessere Namen für das zu finden, was im Geheimnisvollen wohnt und uns doch nahe sein kann.

 

Das Fremde im Vertrauten

 

Vielleicht sind wir zu hemmungslos oder es ist einfach unsere Neugier, die uns nicht in Ruhe lässt, uns dazu bringt, hinter die Schleier zu sehen, das Geheimnis zu lüften, wo immer es anzutreffen ist. Diese Sehnsucht nach Erkenntnis, nach Verwandlung des Geheimnisses in Wissen, des Fernen ins Nahe, des Unverfügbaren ins Handhabbaren – eine Sehnsucht, die das Anschauliche will, auch wenn es um Gott geht, den niemand je geschaut hat. Diese Sehnsucht will, dass Gott herabsteigt aus den Himmeln und uns nahe geht, uns berührt, berührbar wird. Weit ist es nicht zum Wunsch, in einem Menschen Gott zu sehen. In unseresgleichen das zu erkennen, was wir sein können: das Bild Gottes in der Welt; in unseresgleichen zu sehen, was wir tun können: Gott in der Welt nachahmen. Menschwerdung Gottes als Rettung vor dem ewig Ungewissen, dem Verlorensein angesichts des unüberbrückbaren Abstandes zwischen Gott und der Welt.

 

Die Menschwerdung Gottes in einem Mann

 

Die Menschwerdung Gottes, sagt unsere Tradition, fand tatsächlich statt. Sie hat einen Namen und sie hat ein Geschlecht. Sie begann mit einem kleinen Kind, einem Jungen namens Jesus. Mit ihm verknüpft sich eine Geschichte von unvergleichbarer Dramatik – die uralte Geschichte von menschlicher Schuld und göttlicher Erlösung, von menschlicher Furcht und göttlicher Gnade. Dass Gott in die Welt kam, Mensch wurde, uns zu retten, dieses Drama erzählt man seither auf vielfältigste Weise, immer wieder neu, sodass wir es verstehen können, auch zweitausend Jahre danach. Und doch verschwinden die Fragen nie, fügt jede Zeit neue hinzu.

 

Gott – kein Mann, und doch immer ein ER. Der Welt Erlöser – ein Mann. Seine Stellvertreter – meist oder ausschliesslich Männer. Man könnte es langweilig nennen, wenn es nicht so weitreichende Folgen gehabt hätte und noch hat. Noch immer gibt es sie, die Theologen, die sich nicht scheuen zu sagen: Das Zeugende, Schaffende, Aktive, Transzendente ist männlich – nur im Männlichen finden wir das, was göttlich ist. Frauen sind für anderes gemacht, das ist nicht weniger, nur anders. Ihr Teil ist das Immanente, die Materie, ist empfangen, nähren, sorgen – die Würde der Frauen im Bild der Mutter. Nicht der göttlichen, auch die Gottesmutter ist schlussendlich nur eine Frau. Trotzdem ist sie unerreichbar und nicht von normaler Frauenart. Gibt es denn das für uns nicht, die Anschaulichkeit Gottes im weiblichen Geschlecht? Gott nahe gekommen in einer Frau? Wieso leidet Gott an uns und der Welt auf ewig in einem gekreuzigten Mann? Wieso gibt es sie nicht, die Bilder des Schmerzes, die Bilder der Erlösung im Körper einer Frau? Zwischen Schöpfung und Erlösung bleiben den Frauen alleine Statistinnenrollen. Nur in den Seitenlinien und Unterkapiteln kommen auch sie zum Zuge. Das ändert am Ganzen nichts. Und so bleiben die Fragen: Was wäre gewesen wenn ..., wenn in Gott eine Sie zu sehen wäre? Wenn sie uns nahe gekommen wäre in Gestalt einer Frau? Wäre die Welt eine andere geworden? Sähen die Kirchen anders aus? Würden andere Werte zählen, gäbe es sie nicht, diese unselige Trennung in Geist und Fleisch, entweder oder, Himmel und Erde? Wäre den Frauen weniger Leid und mehr Gerechtigkeit widerfahren, und hätten sie an der Gestaltung der Welt prägender teilgehabt? Und wäre sie damit wohnlicher geworden, diese Erde, menschenfreundlicher, intakter? Wäre das möglich gewesen? Wahrscheinlich nicht, weil nichts so einfach ist, weil das Gute und das Böse kein Geschlecht hat, auch wenn es ungleich verteilt scheint. Nur: wir wären gerne nachher klüger und nicht schon vorher. Wir wollten es gerne sehen, wie es ist, ob besser, ob schlechter, oder ob es nichts änderte in der Welt.

 

Wenn es nur fremder wäre

 

Was wäre wenn ... das hilft uns nicht. Die Geschichten werden anders erzählt, das christliche Universum ist in Bild und Rede noch immer fest in Männerhand. Den Frauen bleibt, weiterhin zu kritisieren, was sich ändern lässt – die vorrangige Repräsentation Gottes im männlichen Geschlecht, die davon abgeleitete Macht in den Kirchen und den Mangel an Phantasie, die Fragen neu zu stellen, die vertrauten Bilder anders zu zeichnen. Es muss selbstverständlicher sein, das Göttliche weiblich zu denken, in Frauen das Göttliche zu erkennen, auch wenn sich die christliche Heilsgeschichte trotzdem im göttlichen Mann zu erfüllen scheint. Und doch dürfte auch ausgleichende Gerechtigkeit nicht vergessen lassen, dass es eine Qualität des Glaubens ist, das Göttliche als etwas Fremdes zu denken, als etwas, das oft nicht mehr ist als Vibrieren des Vorhangs, der das Rätsel verbirgt. Mehr ist vielleicht nicht zu sehen, als dieser Vorhang, der sich ab und zu bewegt. Und das Leben, das bleibt dem sich wundern überlassen. Über sich, über die Welt und das wäre nicht einmal das Schlechteste, das sich Wundern. Immerhin heisst das: neugierig sein, sorgfältig, gesegnet mit einem grundlegenden Mangel an Überheblichkeit. Und Glauben, so der Schriftsteller Updike, heisst ja immer, „dass wir Fischer im Dunkeln sind, im Sturm der Sinne und verrückten Ereignisse, und dass das Rucken am anderen Ende der Schnur geduldig herangeholt werden muss, mit Fingerspitzen, die empfindlich geworden sind durch das Sandpapier eines scheuernde Glaubens.“

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Kolumne