Maria – ein religiöses Minenfeld

 

Müsste man über die Weiterexistenz des heutigen Marienfestes – Marias unbefleckte Empfängnis – abstimmen, es würde kaum weiterbestehen, jedenfalls nicht bei uns. Sein Inhalt ist längst nicht mehr konsensfähig. Aber wir stimmen ja nicht ab und retten damit wenn schon nicht Glaubensvorstellungen so doch zumindest einen freien Tag.

 

Es ist schwierig, zu diesem Fest etwas zu sagen, das wir nicht alle schon hundertmal gehört, selbst gesagt, eingewendet oder allenfalls, zu seiner Verteidigung, angemerkt haben. Noch um einiges schwieriger wird es, wenn man weiss, dass dieses Fest zwar den einen nur ein Gähnen entlockt und sie an Ausschlafen denken lässt, für andere aber ein nach wie vor bedeutsamer Tag bleibt, den sie mit allem verteidigen, was ihnen zur Verfügung steht, sei es auch nur eine böse Zunge, sollte jemand es wagen, hierzu etwas Ungehöriges zu sagen. Es hat etwas von einem Minenfeld, wie kaum ein anderes, dieses spezielle religiöse Terrain. "Affektive Besetzung" sagt man dem wohl, etwas, das nicht an das rationale Argument bindbar, sondern im Hochofen der Gefühle zu Hause ist und an dem sich die Vernunft immerzu die Finger verbrennt.

 

Die Rollen sind demnach verteilt. Es ist an den Gläubigen zu glauben, an den Zweifelnden zu zweifeln, an den Gleichgültigen gleichgütlig zu sein, es ist ihre je eigene Profession. Dass sie einander verstehen könnten, wäre ein allererstes Wunder.

 

Unbefleckte Empfängnis

 

Mit dieser Überschrift ist der 8.Dezember versehen, auch wenn es inzwischen offiziell nicht mehr um unbeflecktes Empfangen geht, sondern an diesem Tag "Marias Erwählung" vergegenwärtigt werden soll.

 

Unbefleckt empfangen, das hiess einmal: Maria, erwählt, den Gottessohn im Fleische zu gebären, ist keine Frau wie jede Frau, sondern sie ist rein und ohne Sünde, vollkommen fast, seit Anbeginn. Es reicht nicht, dass ihr Kind göttlich ist, auch wenn es Mensch wurde, es muss selbst die Mutter unantastbar sein und ohne Makel, um diesem Geschehen gerecht zu werden. Die ganz normale menschliche Art, nicht über alle Zweifel erhaben und ein bisschen schmuddelig ab und zu, schien dafür nicht tauglich genug.

 

Seit dem Mittelalter gehört die Vorstellung einer (erb)sündlos empfangenen Maria zum Fundus christlicher Frömmigkeit, es wird theologisch darum gestritten, bis sie im 19.Jh. schliesslich zum Dogma erhoben wird.

 

Man kann dem Katholizismus unendlich viel vorwerfen, aber eines nicht: dass er sich durch Klarheit und Nüchternheit auszeichnet. Er ist im Gegenteil von ausschweifender Art,  gezeichnet von einem Hunger nach Bildern, Symbolen, Ritualen, und seine Vorstellungswelten sind ab und zu von phantastischer Opulenz. Maria hat hierin viel von einem religiösen Star: Mädchenhaft jung, zu besonderer Aufgabe erwählt, aus der Menge hervorgezaubert zu unerreichbarer Grösse; mysteriös, hinter dem vielfachem Schleier geheimnisvoller Vorgänge verborgen – ihre eigene Geburt, ihr sündloses Leben, die Geburt ihres göttlichen Kindes, ihr unbekanntes Leben und ihr Tod. Ein Bild von einer Frau, unendliche Male gezeichnet, modelliert, in allen Farben des Wunsches nach dem Idealen, verehrungswürdig gerade weil es von ihr als realer Figur so wenig zu wissen gibt!

 

Porentief rein

 

Wäre die Marienfigur etwa ein Bestandteil des Buddhismus oder eine Mutterfigur in der Geist-Welt der Navajos, sie könnte von Interesse sein: eigenartig fremd, aber ein Hinsehen wert. Leider scheint sie uns nur allzu vertraut, hat, vielfach benutzt zu unguten Zwecken, vor allem vielen Frauen geschadet. Diese Geschichte wird sie nicht los, auch wenn sie mehr Dimensionen hat als das kritikgeübte Auge sehen mag. Das Röntgenauge des Misstrauens, das in der Regel bei vielen in Sachen Religion wirksam ist, sieht natürlich zu Recht hinter dem Fleisch das Knochengerüst, das alles stützt und trägt, aber überall sonst käme wohl niemand auf die Idee, die Knochen mit dem Fleisch zu verwechseln. Das "Inhaltsverzeichnis" der religiösen Vorstellungswelten zu kennen, bedeutet nicht, den Inhalt zu kennen. Leider scheint für viele Halbwissen durchaus ausreichend, um den nicht mehr vertrauten Ideen den Gnadenstoss zu versetzen. Das hat seinen Grund natürlich nicht nur im Übermut der KritikerInnen und SpötterInnen, sondern auch die Ideen selbst bieten ab und zu Hand dazu.

 

So hat etwa das Dogma von der unbefleckten Empfängnis zu viele Untertöne, die, unterstützt durch die Prüderie des bürgerlichen 19.Jh., an die allzu vertraute Sexualitätsfeindlichkeit der christlichen Kirchen erinnern, auch wenn dies hier für einmal eher zu Unrecht vermutet wird.

 

Unbefleckt meinte unbefleckt von der Erbsünde, jener Sünde, die den Verlust paradiesischer Unschuld markiert und seither ins menschliche Leben als Bruch eingeschrieben ist, als Bruch zwischen Wunsch und Realität, zwischen dem, was man sein könnte und dem, was man, in aller Mangelhaftigkeit, ist.

 

Tatsache ist aber, dass den meisten wohl zum Begriff "unbefleckt" nichts von all dem einfallen will. Viel eher als an Erbsünde denken wir bei makellos, rein und unbefleckt an Waschmittel, auch wenn der tägliche Kampf für die porentiefe Reinheit etwas von einem lebenslangen Verhängnis zu haben scheint, das es zu überwinden gilt. Generationen von Frauen scheinen gegen dieses Schmutzverhängnis anzuwaschen, zusätzlich herausgefordert durch den Makel weiblichen Fleisches, das einen permanenten Reinigungsbedarf zu erzeugen scheint, den man aber himmlischerweise Always zu entsorgen weiss. Nicht nur Engel haben Flügel.

 

Was Menschen glauben, sagt mehr über das aus, was ihnen im Leben unerträglich ist, als über das, was sie Wahrheit nennen, heisst es. Wenn dem so ist, dann wäre eine Verständigung über dieses Unerträgliche zumindest ein kleinster gemeinsamer Nenner, um einem Fest, wie Marias unbefleckter Empfängnis, etwas abzugewinnen, auch wenn es beinahe einer fremden Kultur zu entstammen scheint. Dass die einen dabei an Sauberkeit denken, die anderen an Erbsünde, macht die Ausgangslage äusserst spannend!

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Kolumne