Gott in Beziehung

 

Für viele beginnt Gott langsam zu verschwinden, wie ein Land, dem man den Rücken kehrt. Sein Bild verliert an Schärfe, löst sich auf. Der Wunsch, er möge dennoch sein, verschwindet nicht, aber der Glaube. Die Worte fehlen, die plausiblen Vorstellungen, an die Gefühle rührt er kaum mehr, der Verstand hat ihn ausgebürgert. Wenn er existiert, dann in der Lücke, die er hinterliess. Rettungsversuche gibt es viele, ob sie halten, uns in Gott und Gott in unserer Welt, steht dahin.

 

„oben ohne“

 

In der Rede von Gott gibt es viele Unschärfen. Die Gewissheiten lösen sich auf, die klare Rede verliert sich im Ungefähren. „Ich glaube, dass es irgendwo etwas gibt“ wird zum Standardsatz eines Glaubens, der im „irgendwo“ und „etwas“ immerhin noch eine Ahnung oder zumindest einen Wunsch formuliert. Nur festlegen mag und kann man sich nicht mehr. Nicht auf alte Worte, auf kein vorgegebenes Bild, von christlichen Glaubenssystemen, Lehrsätzen und  Ritualen ganz zu schweigen. Gründe dafür gibt es viele, nicht alle sind neu. Der Zweifel war immer Begleiter eines Glaubens, der sich nicht auf Gehorsam gründet, sondern auf Evidenz. Gerade die Evidenz ist Gott heute bei vielen abhanden gekommen. Er oder auch sie ist die Antwort auf eine Frage, die viele gar nicht mehr ernsthaft stellen mögen. Es lebt sich auch ohne Gott ganz komfortabel. Und sollte sich das ändern, so kann man sich zu gegebener Zeit immer noch auf die Suche nach einem Netz machen, das den Fall abfedert.

 

Taugliche Bilder fehlen

 

„Gott ist unvereinbar mit Maschinen, medizinischer Wissenschaft und allgemeinem Glück“ schrieb Aldous Huxley. Wenn nicht unvereinbar, so doch schwerer als notwendig zu denken. Die Hinwendung zu sich selbst, das Abstreifen der himmlischen Schutzschale und die Ausbürgerung Gottes aus der Welt haben es schwieriger gemacht, zu sehen, wo Göttliches jenseits ungebrochener Naivität noch denk-, erfahr- und vor allem in Bekenntnis und Praxis noch teilbar sein könnte. Die alten Bilder scheinen nicht mehr tauglich für eine völlig veränderte Welt, der Glaube verliert seine Gefässe und wird für viele wie Wasser schöpfen mit einem Sieb. Es gibt nichts, dass das, worum es geht, zu fassen vermag, damit es nicht immer wieder durch die Finger rinnt. Gerade die bisher zugänglichste Sprache – Gott wird in menschlichen Bildern und Begriffen vergegenwärtigt –, scheint in der aufgeklärten Moderne nicht mehr möglich. Aber vielleicht ist die aufgeklärte Vernunft das eine, die nicht stillbare Sehnsucht nach dem ganz Anderen, nach Heilung und letztendlicher Gerechtigkeit für alle, das andere. Die Welt ist nicht nur eine, sondern viele, auch im eigenen Leben, und mehr als eine Seele wohnt oft in der eigenen Brust. Das macht nichts leichter, aber das Denken freier. Vieles ist offen, anders denkbar, und reicht die Neugier über den Augenschein hinaus, so wächst das Geheimnis und das Unverfügbare auch in den alltäglichsten Dingen. Und dass Gott etwas mit dem Geheimnis zu tun hat, mit dem Leben im Leben, das in den Begriffen und Erklärungen nicht aufgeht, ist zumindest als Erfahrung teilbar, auch wenn man sie vielleicht nicht Gott nennen mag.

 

Gott als Macht in Beziehung

 

Gott ist nicht einfach etwas für mich, „Gott ist nicht mein, sondern unser“(1), schrieb die amerikanische Theologin Carter Heyward in ihrem Buch „Und sie rührte sein Kleid an. Eine feministische Theologie der Beziehung“. Dieses Buch war in den 80er Jahren vor allem für viele Frauen eine Art Rettungsanker. Nach der feministischen Kritik am „männlichen Gott“, am vielfältigen, aber immer männlichen göttlichen Er, das sich so schwer umgehen liess, war ihre Rede von „Gott als Macht in Beziehung“ eine durchaus fruchtbare Möglichkeit, aus den alten Geschlechterfallen herauszukommen. Gott war nicht länger eine Macht über den Menschen, unabhängig und souverän, sondern mitten unter ihnen. Gott stand jetzt für eine Macht, die Menschen dort erfahren und teilen, wo sie gerechte Beziehungen unter Menschen herzustellen versuchen. „Gott ist schöpferische Macht, die Macht, die in der Geschichte Gerechtigkeit – die gerechte Beziehung – herstellt. Gott ist das Band, das uns so miteinander verbindet, dass jeder von uns fähig wird, zu wachsen, zu arbeiten, zu spielen, zu lieben und geliebt zu werden. Gott schafft diese Gerechtigkeit, unsere Gerechtigkeit.“(2) „Der menschliche Akt zu lieben, Freundschaft zu schliessen und Gerechtigkeit herzustellen“, heisst es weiter, „ist unser Akt, Gott in der Welt leibhaftig zu machen ... Die Beständigkeit Gottes ist das Wirken Gottes in der Welt, wo auch immer, wann  immer und aus welchem Grund auch immer die Menschheit handelt, um zu schaffen, zu befreien und zu segnen.“(3)

 

Dass Gott kein Wesen ist, das in den Himmeln thront, sondern ein Tätigkeitswort, dass er/sie nicht einfach zu tun gibt, sondern dass es unsere Aufgabe ist, Gott zu tun („to god“) ist eine radikale Art und Weise, Gott in der Welt leibhaftig werden zu lassen. Es ist der Versuch, Gott in die erfahrbare Nähe menschlichen Tuns zu rücken und nicht irgendeines Tuns, sondern ins Tun des Gerechten. Nur dort, so Carter Heyward, ist Gott.

 

Natürlich gibt es viele Einwände gegen diese Art des Redens von Gott. Theologie reduziere sich so auf Ethik, Gott werde Teil der Welt, identisch mit dem, was wir selber tun. Wozu dann noch von Gott sprechen? Was ist Gott mehr als das, was sowieso geschieht? Und hört Gott auf zu sein, wenn wir scheitern? Wenn die Rede von Gott gebunden ist an unser gerechtes Handeln in der Welt, stirbt Gott dann an der Welt, in der Gerechtigkeit herzustellen einfach nicht gelingen will? Und wo ist Gott, wenn Menschen ohne Beziehung sind, sich Macht in Beziehung nicht erfahren lässt – in der Einsamkeit, im Verlassensein, im Schmerz, der abschneidet von Beziehung? Ist man dann gott-los?

 

„Mach wenig Worte“

 

Veränderte Zugänge schaffen nicht nur denkerische Freiräume, sondern stellen wiederum neue Fragen. Gott als Macht in Beziehung ist eine Möglichkeit mehr, so von Gott zu reden, dass Gott etwas wird, das einen „unbedingt angeht“ (Paul Tillich). Es ist sicher nicht die einzige. Immerzu war Gott in Wahrheit viele. Im Schmerz ein anderer als in der Liebe. Mitten im Leben eine andere als an seinen dunklen Rändern. Und in allem Reden bleibt das Geheimnis und das Unverfügbare bestehen. „Gott ist im Himmel, du bist auf der Erde, also mach wenig Worte“ heisst es in Kohelet 5,1 ganz lapidar. Ein guter Rat in einer Welt, in der viel zu viele zu genau wissen, wer Gott ist und was er will. Nichtwissen kann ein Glück sein. Das Schweigen auch, denn „wenn du redest“, heisst es in einem arabischen Sprichwort, „dann muss deine Rede besser sein als es dein Schweigen gewesen wäre.“

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

Anmerkungen

(1) Carter Heyward, Uns sie rührte sein Kleid an. Eine feministische Theologie der Beziehung, Stuttgart 1986, 30

(2) ebd. 49

(3) ebd. 52

 

© Silvia Strahm 2017 / Kolumne