Girls Girls Girls

Unschlüssige Grübelein

 

Mädchen, wohin man schaut. Grosse Mädchen, kleine Mädchen, junge und jung geschnittene, mit Speck und ohne. Wenn’s irgendwie geht: ohne. Sie schauen alle gleich aus, aber tief tief drinnen im Herzen ist jede ein Individuum.

 

Tagein tagaus angezogen für die grosse Party, die am frühen Morgen beginnt. Der Bauch so frei wie die Gedanken, der Mund, sexy wie das ganze Leben und das Tattoo gehört zur Grundausstattung wie der Haken zur Angel. Man schwankt zwischen Schmunzeln, Spott und Verärgerung. Denn was hier erblüht, ist keine Frau, sondern das alte Weibchenprogramm.

 

Eng, alles so eng

 

Vielleicht sollte man das alles nicht so eng sehen. Eng sind vielleicht nur ihre T-shirts, nicht ihre Blicke auf die Welt. Sagt man sich und mag es doch nicht recht glauben. Es scheint doch, die Welt kommt auf ihrem denkerischen Speisezettel nur in klitzekleinen Portionen vor. Aber wieso soll, wer sich immerzu Diäten verordnet, beim Denken plötzlich verschwenderisch sein? Waren wir anders? Den Mädchen aber ist das alles schnurzegal und völlig wurst. Stolz grinsen sie unser Vorbehalte weg. Diese hübschen kleinen Sonnen, um die sich die Welt gefällig(st) dreht. Wir schütteln den Kopf. Verzweifeln ein wenig an dieser schönen neuen freien Welt. Aber nicht, weil wir klüger sind, sondern bereits ausser Konkurrenz. Sagen sie uns ins Gesicht. Und wir schweigen betreten. Mehr Selbstbewusstsein haben wir uns einst gewünscht, Stärke und Stolz. Es scheint, sie haben’s nun gekriegt. Über die Massen. Und wir? Wünschen ihnen Selbstzweifel an den Hals und etwas mehr, ja was denn, Würde? Ganz schnell schlagen wir die Hand vor den Mund und erschrecken ein wenig vor uns selbst.

 

Frauen, light gemacht

 

Das ist natürlich alles gar nicht wahr. Wie einfach wäre es, es wäre so einfach. Man weiss, man ist ungerecht. Und die Wirklichkeit komplexer. Und die jungen Frauen auch. Nicht leicht zu durchschauen. Viel Fassade. Was an Substanz dahinter steckt, ist nur schwer erkennbar. Und doch ist da ein Unbehagen. Dieses Gefühl, etwas gehe seinen Gang, das einem nicht gefallen kann. Man findet Indizien, aber keine schlüssige Erklärung.

 

Es scheint: Frauen sollen zwar Frauen sein, aber so wie Mädchen. Die Körper schmal, die Hüften knochig, die Brüste gross, der Ausschnitt tief und die Hose auch. Speck ist nur auf der Seele erlaubt. Nicht im Kühlschrank und nicht an den Hüften. Nicht Leben ist angesagt, sondern Kontrolle. Ein Leben lang. Die einen zählen ihr Geld, die anderen währenddessen Kalorien. Die Arbeitsteilung ist perfekt. Schöne neue Freiheit, in Konfektionsgrösse 36.

 

Das Mädchenhafte, sagt man sich dann, ist aber vielleicht nichts weiter als ein Label. Blosse Verkaufsstrategie, genutzt als Mode und für die persönliche Marktwertsteigerung. Im richtigen Leben steckt unter dem Rüschenblüschen einiges an Eigensinn und Kraft, sind die spitzen Hüften manchmal Waffen und der offene Ausschnitt verbirgt bloss das nüchterne Kalkül: Was will ich und wie krieg ich’s? Will heissen: Wenn sie das wollen, damit ich kriege, was ich will, sollen sie es bekommen. Alles klar? Bloss: Wer ist sie? „Die Männer“? „Die Gesellschaft“? Die Modeindustrie? Die Frauen selbst? Der Erkenntnisgewinn lässt auf sich warten, was bleibt ist das Unbehagen. Und der Verdacht, dass sich zwar die Brüste ihren Weg ins Freie suchen, der grosse Rest sich aber nicht befreit, sondern anpasst.

 

Der grosse Säugling

 

Es geht nicht bloss ums Mädchenhafte. Vieles an unserem Verhalten gleicht dem eines kleinen Kindes. Wie grosse Säuglinge funktionieren wir nach dem Prinzip von Lust und Unlust, wollen alles, was in Reichweite liegt und zwar jetzt sofort. Sonst schreien wir. Verdirbt man uns den Spass mit der Realität, der harten Nuss, dann hört der Spass auf und es beginnt das grosse Jammern und Klammern. Freiheit heisst nichts weiter als Freiraum, in dem man ungehindert machen kann, was man will. Aber natürlich nur mit Sicherheitsnetz und doppeltem Boden und jemandem, der den Preis zahlt, wenn es nicht funktioniert. Kollektive kindliche Genusssucht und infantile Egozentrik bestimmten unser Verhalten, diagnostiziert ein Spiegelredaktor. Was einst Jugend gewesen sei und im Werther- oder Revoluzzerstil gegen die Welt der Erwachsenen rebellierte, sei durch einen flächendeckend synthetischen Jugendwahn der ganzen Gesellschaft ersetzt worden, bei dem sich die überlieferten kulturellen Abgrenzungen verwischt haben: 8jährige knacken Computersysteme von Staatsbehörden, 17jährige Gymnasiasten spekulieren an der Börse, während hochmobile Frührentner in Nike-Turnschuhen und mit aufgestülptem Walkman bei McDonald's sitzen und haufenweise Chicken McNuggets in sich hineinstopfen.

 

Schick die Welt weg und reich mir den Hamburger!

 

Ungebraucht und neu

 

Das Leben soll ohne Spuren bleiben. Es soll Glück liefern, aber keinen Schmerz. Es soll das Paradies auf Erden sein. Und möglichst keine Spuren hinterlassen, jedenfalls nicht an uns. Ungebraucht sollen wir ausschauen und wie neu. Falten machen Menschen zu Patienten, lese ich in Broschüren von Schönheitschirurgen. Dank ästhetischer Medizin ist ihnen aber noch zu helfen. Man kann sich natürlich fragen, ob ihnen noch zu helfen ist, aber das ist Kulturpessimismus. Und verpönt. Nicht aber das Bemühen, jung auszusehen. Das ist ein Grundbedürfnis in der Geschichte der Menschheit, lese ich. Deshalb ist auch vorbeugen besser als nachbessern. Alle paar Monate das Nervengift Botox unter die Gesichtshaut gespritzt, möglichst ab 18, und man ist das Problem mit den Falten los: Es gibt gar keine! Wegen Muskellähmung. Wüsste man es nicht besser, man würde vermuten, die Lähmung erfasse auch das menschliche Hirn. Zum Denken braucht es aber keine Muskeln. Schade eigentlich. Sonst könnte man es im Fitnessstudio gleich mittrainieren.

 

PS: Gab es da nicht diese Bibelstelle, wo Jesus sagte, wer nicht werde wie ein Kind, werde nicht eingehen ins Himmelreich? Visionär diese Aussage, nicht? Und wir dem Himmelreich schon so nah!

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Kolumne