Der tanzende Christus

 

Zuerst hiess er Jesus. Aus Nazareth kam er. Zog durchs Land, tat dies und das, stiftete Unruhe und Glaube. Wurde zur Gefahr. Endete am Kreuz.

 

Gesichertes Wissen gibt es wenig, aber der Glaube reicht für eine Ewigkeit.

 

Sohn Gottes, Christus, Messias, neuer Adam. Ehrentitel um Ehrentitel wurde er ins Göttliche verschoben. Bis er verschwand in den Weiten des Himmels. Wo er auf uns wartet, wie der Glaube verspricht. Der bekanntlich Berge versetzt und sogar den Himmel an die Leine nimmt. Wie einen grossen Ballon. Leicht, schwebend, sanft, aber an fester Hand.

 

Ein paar Jahrhunderte Bibeldeutung, Tausende und Abertausende von Büchern über diesen ohnmächtigen Helden und seine Zeit und noch immer geistert er mit langen Haaren, Sandalen und zarten Händen durch die Phantasien der Glaubenden. Ein sanfter Rebell, ein feinsinniger Redner, ein geborenes Opfer.

 

Das lustlose Heil

 

Andere Bilder gibt es: Der Schreinersohn in der Werkstatt des Vaters, der davongelaufene Junge, der Fresser und Säufer in Frauenbegleitung, der wütende Kritiker der Macht. Der wusste nicht nur seine Stimme zu gebrauchen, sondern auch sein Faust. Kein Flower-Power-Mann bar jedes „make love not war”. Liebe ja, auf jeden Fall. Liebe vor allem anderen. Und bis zum Schluss und immerzu gebunden an Gerechtigkeit. Aber eine Liebe der keuschen Art, vom Körper gereinigt und in Geist gebadet. Erzählt man es uns. Ob es tatsächlich so war, wer weiss.

 

Niemand weiss es. Aber die katholische Moral singt unentwegt dieser lustlosen Liebe Lied. Das handelt nicht von einem erwachsenen Mann, sondern von einem Lamm, zum Schlachten bereit. Es zeigt uns seinen Leib, aber nur im Schmerz; im Blut und mit Wunden, in Folter und Demütigung. Minutiös und ohne Scham wird er ins helle Licht gerückt. Undenkbar bleibt, dass in diesem Körper zu Lebzeiten Vergnügen war und Himmelsflug. Unser lieber Herr Jesus war ein vollendet keuscher Mann. Sagt man. Und das wäre dann von allen Wundern eines der grössten. 

 

Die Erotik des Schmerzes

 

Von der Erotik des Leidens ist unsere (Bild)Tradition übervoll. Körperlicher Schmerz wurde zum direktesten Weg ins Himmelreich. Nicht aber die Lust. Mag sie sich auch himmlisch anfühlen, der Preis dafür war während Jahrhunderten höllisch hoch. Reines Vergnügen bekam hienieden kein Heimatrecht.

 

Mit der Zweideutigkeit des Körpers ist gewiss schwer zu leben. Er ist Freund und Tod(feind) in einem; gibt Leben, Lust, Schmerz und Tod. Teilt freigiebig alles aus. Allen von uns. Der Versuch, sich weit weg von ihm zu träumen, in die hüllenlose Leichtigkeit, ist verständlich. Aber mutlos und ohne Kraft.

 

Die schwere Leichtigkeit

 

In meinem Wohnzimmer hängt eine barocker Christus – vom Kreuz gelöst, den Körper an der weissen Wand. Befremdend und vertraut. Ich verteidige seine Gegenwart, die nichts dekoriert, nur erinnert. Daran, dass man sich ans Leiden nicht gewöhnen darf. Auch wenn es von Horizont zu Horizont reicht. Und unüberwindlich bleibt. Dass daran erinnert, dass ihm das Leben abzutrotzen ist. Und der Mut, den es braucht, um zu sehen, was gut ist. Und leicht. Und dass es nicht nur die Verantwortung gibt, zu ändern, was möglich ist, sondern auch die Verantwortung für ein Leben, das seinen Anteil Vergnügen und Heiterkeit erfährt. Im Schweren das Leichte zu sehen ist schwer. Und kommt an kein Ende.

 

Der tanzende Christus

 

In der Ausstellung mit dem Titel „gott sehen“ in der Kartause Ittingen gab es viel zu sehen und noch mehr zu denken. Eine Darstellung, die dies in extremis zu Wege brachte, war auf einem Fernsehschirm zu sehen. Ihr Titel: CD-Rom. Was sah man? 33 Darstellungen des Gekreuzigten, ohne sein Kreuz, in eine zeitliche Abfolge gebracht und zum bewegten Bild gestaltet. Eine Art Kurzfilm war es, in dem der Gekreuzigte tanzt. Vor einem imaginären Kreuz, die Arme erhoben, den Kopf geneigt, selbstvergessen den Körper wiegend, hin und her, aus den Hüften heraus. Was der Künstler Hans Thomann damit bezweckte, ich weiss es nicht. Ich weiss nur, was es in Gang setzte bei mir.

 

Zuallererst Verärgerung. Ironie und Leiden vertragen sich nicht. Dem Leiden die Schwere nehmen, das darf man nicht. Was auch immer aus diesem Gekreuzigten in den Händen der Kirche(n) wurde – mir war er Opfer und Klage in einem. Er trug die Qual und den von oben verordneten Mord durch die Jahrhunderte. Nicht nur den eigenen Schmerz. Das Leiden aller Ermordeten. Nicht, um alles mit Sinn zu erfüllen und darin aufzuheben, sondern um es anzuklagen. Zu verneinen. Zurückzuweisen.

 

Der Gekreuzigte sollte Leiden erinnern, nicht Leiden auflösen und ins Spielerische wenden.

 

Mitten im Ärger dann aber die Verwunderung. Was, wenn es nicht Ironie ist, sondern etwas zu Ende denkt und neu ins Bild rückt. Nämlich den Gauben, dass in diesem Tod Leben ist. Dass der Kreuzesbalken gleichzeitig Lebensbaum ist? Dass, der tot war, lebt.

 

Aus der Haltung des Gekreuzigten wird ein Tanz. Wird Leichtigkeit. Der Körper, im Schmerz erstarrt, gerät in Bewegung, wird lebendig, geniesst sich.

 

Neu sehen lernen.

 

Ein kleines Bild nur, aber mit einer grossen Wirkung.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2017 / Kolumne