„Mit Leib und Seele ...

 

... und Haut und Haar? Aufgenommen in den Himmel? Man muss mutig sein, um dies zu glauben. Die meisten, „aufgeklärt bis auf die Knochen“, mögen zwar in schwachen Stunden davon träumen, dereinst mit Leib und Seele jenen Ort zu bewohnen. Aber erwarten? Nein. Das verbieten Stolz und Verstand. Viele von uns streichen heute den Himmel und überlassen ihn der Astrophysik. Die Seele übersetzen wir in chemische Prozesse, das „aufgenommen“ verdächtigen wir als falschen Trost, den grossen Wartenden lassen wir in den Nebeln des „Irgendetwas gibt es da“ sich verflüchtigen. Was uns schlussendlich bleibt, ist der Leib. Den wir jetzt nüchtern Körper nennen. Seele weg! Himmel weg! Der grosse Wartende weg! Ist uns noch zu helfen?

 

Der geliebte, ungeliebte Körper

 

Was uns gesichert bleibt, ist der Körper. Der geliebte, der ungeliebte. Geliebt, sagen wir, weil endlich frei und in unserer eigenen Hand. Aufgeschnürt ist das Korsett aus Zwang, Schuldgefühl und Fortpflanzungszweck. Befreit sind die Körper zum reinen Genuss, kommen aus ihren Verstecken, zeigen sich, nehmen und geben.

 

Bloss: So frei ist diese neue Liebe nicht und die Körper entgleiten nur allzu oft aus unserem liebevollen Blick in mannigfaltige moderne Zurichtungs- und Züchtigungsmaschinerien. Um zur Liebe zu kommen, muss man durch Diäten hindurch, durch sportliche Tätigkeiten, ganze Kosmetikuniversen, und wenn alles nichts hilft, auf den Operationstisch.

 

Die christliche Leibfeindlichkeit sind wir los, die Leibfeindlichkeit nicht.

 

Die christliche Leibfeindlichkeit

 

Nicht dem Körper ist das Christentum feindlich gesinnt (gewesen), sondern der Sexualität, präziser noch: der Lust. Ihr hat man misstraut. Ihrer unbändigen Kraft, der es nach dem Schleifenlassen der Zügel verlangt. Reinheit und Kontrolle waren der Preis, den der Körper in unserer Tradition bezahlte, um trotz mancherlei Verdacht Respekt und Ewigkeit zu gewinnen. Ein vollumfänglicher Feind war er nicht. Immerhin war Gott Mensch geworden, hatte den Körper des Menschen zu seinem Tempel erklärt und ihn sogar aus den irdischen Bedingtheiten in die Freiheiten des Himmels befördert. Und wer sich getraut, den Himmel zu erwarten, der wird auch den Mut aufbringen, zu glauben, dass der Himmel kein Kloster ist, sondern jener paradiesische Garten, der uns einst verloren ging.

 

Marias Himmelfahrt

 

„Mit Leib und Seele in den Himmel“ aufgenommen, diese Aussage wird vorrangig für Maria, die Mutter Jesu, gebraucht. 1950 wurde sie mit dem Dogma der Himmelfahrt Mariens bestätigt. In der katholischen Bildwelt war dieser Glaube längst in aller Herrlichkeit und mit Engelscharen und göttlicher Begleitmusik vollzogen. Das Privileg hatte seinen Preis – und der Preis waren, wen erstaunt es, Reinheit und Jungfräulichkeit. Für uns andere gilt: Lassen wir uns nicht allzu schlimme Dinge hinieden zu Schulden kommen, steht uns, trotz unserer schmuddeligen Leiber und Leben, der Weg in den Himmel prinzipiell später einmal offen. Wir „treten“ ein mit Leib und Seele, mit unserem Verstand, unserem Herzen, unserer Seele und unserer Lust. So möchten wir es uns vorstellen.

 

Himmelskörper?

 

Himmelskörper – das Wort ist für Sterne reserviert. Aber irgendwann möchten wir alle leuchten. Mit Leib und Seele. Möchten wir unsere Körper bewohnen dürfen auf vielfältigste Art, nur, wenn es geht, ohne Schmerz. Wir sind gewiss MeisterInnen im Wünschen und Hoffen, aber, notgedrungen,  DilettantInnen im Ausmalen dessen, wie es einst sein könnte. Wir scheitern bereits beim Ort. Wo soll er sein, der Himmel?

 

Und wir wissen nicht weiter, wenn wir uns fragen, wie er ist, der Himmel, und für wen. Und wer wir dort sein werden. Sind wir wieder jung, endlich so schön, wie wir es uns immer wünschten, gesund, gut, klug, liebenswert? Sind wir die, die wir waren, als wir glücklich waren? Werden wir wirklich sein, mit Haut und Haar, Verdauung, Erektionen und Orgasmen, mit Falten, geschwollenen Beinen. Wird uns die Sonne die Haut wärmen? Gibt es das Meer? Tränen? Werden wir ewig alles haben und von allem genug? Sehen wir unsere Lieben wieder? Wird uns das Geniessen gelingen? Und wie können wir das, was wir uns wünschen, glauben?

 

Der Himmel sind die anderen

 

Den Himmel kennt niemand. Was die Astronomen und Astrophysiker und Weltraumfahrer sehen, rechnen, beschreiben, erklären, ist nicht der Himmel, den wir gerne bewohnen würden. Der Himmel, den wir meinen, ist die Erde, nur besser; ist unser Leben, nur gelungener; sind die anderen, nur erfreulicher. Wir rechnen einfach unsere Wünsche hoch, himmelhoch. Das lässt uns nicht jauchzen. Aber phantasieren. Die andere Welt, die der Himmel sein soll, ist die eigene, nur eben anders. Diese Grenze überschreiten wir nicht. Und deshalb ist es schon richtig, wenn wir einander von unserem Himmel auf Erden erzählen, und wenn wir glauben, dass nicht nur die Hölle, sondern auch der Himmel die anderen sein können. Und dass Leidenschaft, Feuer, Lust auch eine himmlische Sache ist und unsere Körper, die der Welt gehören, mit denen wir in der Welt sind, auch ihr Stück Himmel beherbergen. Alles weitere bleibt Überraschung.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2007 / Kolumne