Gott, ein Fussballer?

 

Wieso eigentlich nicht? Die Welt ist nicht rund, behaupten Wissenschaftler. Eher wie ein Fussball sehe sie aus. Die Fussballbegeisterten glauben es gern. „Schaut euch doch endlich die Welt einmal genauer an!“, sagen sie jetzt den Fussballverächter/innen voller Stolz. Haben sie sie nicht längst geahnt, die himmlische Version ihres irdischen Vergnügens? Dass Gott nämlich im Anfang zwar den Himmel schuf, aber dann, zu seinem Vergnügen, einen Ball, und der Ball, der fiel ihm aus den Händen und wir mit ihm. Und hier sind wir also mit unseren seltsam runden Träumen, in denen noch eine Ahnung ist vom göttlichen Spiel.

 

Fussball ist allgegenwärtig

 

Der Fussball ist kein Gott, aber nahe dran. Er ist allgegenwärtig, transzendiert Alltag und Normalität und entfaltet eine ausserordentliche Macht. Er füllt Stadien und Köpfe, Fernsehkanäle, Zeitungen und wissenschaftliche Bücher, regt an und regt auf. Man entkommt ihm kaum.

 

Fussball produziert nicht nur Spiele, sondern auch eine Menge Theorien über das, was er ist, tut und bezweckt. Eine unerklärliche Faszination bleibt ihm trotz aller klärender Worte erhalten. Das Aufdecken von Hintergründen, von Kommerz, Manipulation, Zynismus, Geldfluss und Täuschung reicht nicht aus, um das Fussballfieber zu kurieren und seinen Anhänger/innen die Fussballlust auszutreiben. Wer einmal infiziert ist, bleibt gegenüber entlarvenden Argumenten resistent. Nicht gegenüber ihrem Wahrheitsgehalt, aber gegenüber dem Versuch, den Spass mit Informationen zu vertreiben. Sagen Sie einem Fussballfan, Fussball sei Schwachsinn, Gehirnwäsche, zynisches Geschäft, eine „Allegorie des Krieges“, psychische Kompensation und Kapitalismus in seiner reinsten Form, er oder sie wird vielleicht kleinlaut nicken und dennoch nicht aufhören, sich Fussballspiele anzuschauen.

 

Fussball ist simpel

 

Man kann über Fussball kluge Bücher schreiben oder nächtelang Spielzüge und Strategien diskutieren, er bleibt ein relativ simples Spiel. Zwei Mannschaften versuchen auf einem Rasen während neunzig Minuten mit einem Ball möglichst oft ins gegnerische Tor zu treffen. So einfach ist das, ganz ohne Geheimnis, geheimnisvoll ist nur die Faszination. Fussball ist sogar eher ein kurioses Spiel. Einen Gegenstand alleine mit den Füssen zu bewegen scheint auf den ersten Blick widersinnig. Warum nimmt man nicht die feinmotorisch begabtere Hand? Wäre das nicht logischer, natürlicher, naheliegender? Nur, wer will das Naheliegende, wenn der Umweg so viel attraktiver ist? Dribblings, perfekte Ballbeherrschung, genau gezielte Pässe und Freistösse, das alles ist grosse Kunst. Das Spiel ist zwar kämpferisch und in seinen Fouls steckt viel Aggressivität und Perfidie, roh ist es trotzdem nicht, eher verspielt. Wenn es denn gelingt, das Spiel, dann ist es voller Virtuosität, Eleganz und tänzerischer Momente. Aus diesem Grund gilt Fussball in den USA als unmännlich, als Spiel für Weichlinge. Dazu beitragen werden wohl auch die vielen erotischen Momente. Nirgends sonst als auf dem Fussballfeld sieht man hierzulande so viele Männer, die sich öffentlich küssen, streicheln, innig umarmen, sich zu weit und in Gruppen gemeinsam auf dem Boden wälzen. Ganz anders der Frauenfussball – er ist in den USA, wen wundert’s, äusserst populärer, hierzulande gilt er noch immer als eher unweiblich.

 

Fussball ist eine Ersatzreligion

 

Fussball ist eine zivile Ersatzreligion, darüber sind sich die meisten einig. Wen interessiert das? Die Fussballfans kaum, die sind, was sie sind – fussballkrank und glücklich zugleich. Die Theologen schon eher, aus unterschiedlichen Gründen. Für die einen ist die Verbindung von Fussball und Religion ein Stück Rettung von Religion. So schnell, sagen sie, kriegt man das Religiöse nicht aus der Welt. Auch wenn es nur Restbestände sind, die am Fussball haften, so bleibt ein kleiner Triumph. Die Fussballfans wissen zwar nicht, was sie tun, aber wir!

 

„Natürlich ist Fussball Religion“, sagen andere. Und es freut sie nicht. Welch kümmerlicher Ersatz“, jammern sie! „Eröffnungen von Weltmeisterschaften, Gruppenauslosungen, Pokalübergaben? Phantasielose Nachahmungen von Ritualfeiern und Gottesdiensten. Fussballstadien anstatt Kirchen, Pokal anstatt Hostie, ein Queen-Song anstelle eines Hymnus, Fans als Pilger, Fussballer als Götter und Heroen in den Arenen dieser Welt. Schals, Fahnen und Fussballer-Leibchen ersetzen Kreuz und Reliquienkult, das Old Trafford ist nun Lourdes.“ Und die Litanei findet kein Ende. „Weihnachten, Ostern? Nein!“, klagen sie, „Welt- und Europameisterschaften,  Champions League, Uefa-Cup oder nationale Meisterschaften markieren inzwischen der Zeiten Lauf. Und hinter den Kulissen, da ist kein Gott! Was den Fussball transzendiert ist Geld. Eine Unmenge Geld. Menschen werden zu Spielermaterial, sie werden gekauft, verkauft und das Spiel ist kein Spiel, sondern ein Verteilkampf. Alte Männertugenden feiern Triumphe, das Bier fliesst in Strömen, Gewalt und Zerstörungslust liegen in der Luft, und getreten wird nicht nur nach dem Ball.“

 

Fussball ist Fest

 

Das stimmt alles. Und ist doch eine Karikatur. Auch Sportsoziologen, Festforscher und Kulturanthropologen sehen die Verbindungen, aber als Fakten und nicht als Verfallsgeschichte. Sie zählen weitere Bezüge auf – in den Wechselgesängen zwischen Heimmannschaft und Stadionspeaker sehen sie kultisch-liturgische Responsorien, im Schiedsrichter den Priester, in der regelsetzenden Fifa die Kirche. Die Spielzeit gilt als eine dem Alltag enthobene Festzeit, die ummauerten Stadien unterstreichen dies: die Zuschauenden stehen mit dem Rücken zur Aussenwelt, und was sie gemeinsam erleben, ist eine sakrale Kommunikation. Das Erzählen klassischer Partien – wie etwa das „Wunder von Bern“ – ist mythischem Gedenken verwandt, in den Laola-Wellen und Klatschrhythmen zeigt sich eine tranceartige kollektive Ritualhandlungen, begleitet von ekstatischen Erlebnissen dank Sieg und Bier. Auch für die alte kirchliche Caritas finden sie die fussballerische Fortsetzung. So engagiert sich die Uefa beispielsweise im Kampf gegen Landminen und Kindersoldaten; die Finanzierung ihrer Unterstützung geschieht über Bussgelder und erinnert ans katholische Ablasswesen.

 

Fussball ist, wenn er nicht alleine vor dem Fernseher stattfindet, ein Fest mit allen Elementen des traditionellen Festes: Ferien vom Alltag, besondere Kleidung, Ausserkrafttreten üblicher Regeln. Etwas, das seit jeher auch für Spiel und Religion zutrifft, sagen die Festforscher. Übertretungslust ist nichts Neues, im Karneval seit jeher praktizierbar, heute auch im Fussball. Das Bedürfnis nach dem Orgiastischen schafft sich immer wieder eine Tür ins Freie. 

 

Drohender Abpfiff

 

Brot und Spiele braucht der Mensch. Um ihn ruhig zu stellen, sagen die Kritiker. Um ihn neben dem Nötigen auch mit „Vergnügen ohne Alltagsnutzen“(Gumbrecht) zu versorgen, entgegnen die Vorsichtigeren. Im Fussball steckt mehr als ein Ball und eine Menge Geld. Es stecken darin Ästhetik, das Prinzip Hoffnung, die ungeheure Nähe zwischen Scheitern und Gelingen, der Spass auch in der Niederlage. Der Fussball als Massenritual übernimmt die Funktion, Gemeinschaft zu stiften in einer entzauberten Welt. Welches Ereignis sonst schafft es, eine ganze Nation vor dem Bildschirm zu versammeln und Hunderttausende singend, tanzend, lachend, hupend auf den Strassen? Wenn man bedenkt, für welch kriegerischen Wahn man diese Emotionen nutzen könnte, „dann kanalisiert Fussball ein existentielles Bedürfnis nach Gemeinschaft und erfüllt für Momente die Sehnsucht nach Schönheit und Gelingen. All das könnte auf verderblichere Art bedient werden“(Schümer)

 

Die Welt ist nicht rund, eher wie ein Fussball sieht sie aus. Das sollte uns zu denken geben. Im Fussball gibt es klare Regeln, strikte Spielkontrolle, Sanktionen und Platzverweise. Bei Tumulten wird vorzeitig abgepfiffen. Durchaus vorstellbar, dass man uns furchtbar Spielenden den Ball irgendwann aus der Hand nimmt. Und dass es nicht der Fussball ist.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

Verwendete Literatur:

- Matias Martinez (Hrsg.), Warum Fussball. Kulturwissenschaftliche Beschreibungen eines Sports, Bielefeld 2002

- Christoph Bausenwein, Geheimnis Fussball. Auf den Spuren eines Phänomens, Göttingen 1995

- Dirk Schümer, Gott ist rund. Die Kultur des Fussballs, Berlin 1996

 

© Silvia Strahm 2004 / Kolumne