Europa wäscht ab

 

Ich lerne viel in diesen Tagen. Manches ist neu. Vieles ist einfach Repetition. Ich lerne, dass der Krieg ein Job ist, den „wir“ zu Ende bringen. Wir, das sind die Planer, zu Ende gebracht werden die andern. Arbeitsteilung muss sein. „Warum geht Bush nicht in den Krieg?“, fragt ein Kind. Man möchte ihm zu seiner Frage gratulieren. Sie ist gut. Ich beneide das Kind. Manchmal denken auch ich: Duell! Arena! Sollen sie es unter sich ausmachen, die Befehlsgeber! Nackt, ohne Uniformen, Redenschreiber, hehre Ziele, Mikrophone, Waffen; ohne Befehle, ohne Delegationen, ohne Opfer, die die andern bringen. Das ist naiv. Sicher. Naiv wie alles, das aus dem Staunen nicht herauskommt über die Absurdität einer Welt, deren Verrücktheit normal ist. So normal, dass einer, der einen Krieg befiehlt, sich grossartig fühlen kann, ins Wochenende fährt, keine Nachrichten schaut, zweimal am Tag joggt, ausgezeichnet schläft. So normal, dass ein Krieg, je aussichtsloser er wird, desto mehr Unterstützung bekommt: Die Toten müssen schliesslich gerechtfertigt werden. Also wird weiter gestorben, um den Tod derer zu legitimieren, die schon dafür gestorben sind. So verrückt ist normal.

 

Ich lerne, dass Lügen keine Lügen sind, wenn man sie nur lange und vehement genug erzählt. Ich lerne, dass die Wahrheit abgesetzt wurde und die Propaganda nun das Sagen hat, weil man ohne Lügen keinen Krieg gewinnt. Ich lerne, dass es in diesem Krieg um grosse Dinge geht: um Freiheit, Demokratie, Wohlstand. Und dass man sie, um sie den anderen bringen zu können, bei sich selber reduzieren muss. Nur mit Mühe lerne ich, dass man mit Splitterbomben, Personenminen und uranangereicherter Munition Freiheit und Demokratie schmieden kann. Man wird es mir sicher noch weismachen, auch wenn ich schwarz sehe. Aber wer bin ich denn. Eine ewige Zuschauerin und Protestiererin. Ein grosses Kopfschütteln, Tag für Tag, und nichts gerät ins Wanken, ausser meiner Welt, deren Fundamente immer fragiler werden. Was wächst, ist nicht Hoffnung, nur Wut, die zu nichts Rechtem führen will, ausser zum Dagegenhalten. Manchmal ist das bereits etwas, alles in allem aber kläglich wenig. Aber ich lerne, dass das typisch ist, das Klägliche.

 

Ich lerne nämlich auch ganz alte Dinge. Ich lerne, dass Amerika männlich ist und Europa weiblich, weil Siegen, Durchsetzungskraft, Stärke viril ist und das Eintreten für diplomatische Strategien, für Kompromisse und Verhandlungen weiblich. Und dass weiblich feige heisst. Und bedeutungslos ? politisch, militärisch. Die gute alte Frau Europa. Man hat sie zum Abwaschen eingeteilt. Amerika, heisst es, richtet das Essen an, Europa spült das Geschirr.

 

Sie macht den Dreck weg. Noch tut sie das. Was aber einer, der nie abwäscht, nicht weiss: Beim Abwaschen lässt sich trefflich denken! Und so lerne ich denn auch noch das: Wo abgewaschen wird, da ist noch nicht alles verloren. Zumindest nicht der Verstand.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2003 / Kolumne