Peace

 

Ich habe ein Problem. Wer hat das nicht. Gut. Aber meines ist rechteckig. Es ist 140 cm lang und 96 cm breit. Das lässt sich nicht von jedem Problem sagen. Und ausserdem ist es bunt. Und es ist nicht hoffnungslos. Es ist farbig wie ein Regenbogen und der Regenbogen ziert eine Fahne und darauf steht Peace oder Pace und er hängt für einmal nicht am Himmel, sondern an Balkonen und in Fenstern. Und das alles ist sehr schön. Denn meine Stadt erblüht. Und die Wohnungen in meiner Stadt, die atmen jetzt plötzlich Standpunkte aus. Und diese Standpunkte, die verschwinden ja nicht. Aber was geschieht mit all den Fahnen?

 

Wir haben unsere Meinung gesagt und vor die Fenster gehängt. Überall ist er uns entgegengeweht, der friedliche Einwand gegen den Krieg. Kein Spaziergang, keine Reise irgendwohin, ohne dass wir sie zusammengetragen hätten, diese bunten Zeichen, wie den ersten Blumenstrauss im Frühling. Hier ist wieder eine, und hast du gesehen, dort auch. Wir haben Gesinnungen gesammelt und Zugehörigkeiten und waren irgendwie beglückt. Aber das ist vorbei. Der Krieg hat stattgefunden und liegt hinter uns. Nur die Fahnen hängen noch, die es nach wie vor nach Friede verlangt. Der Friede auf unseren Fahnen meinte „Kein Krieg!“ Der Friede, der jetzt beginnt, ist einer danach. Einer nach der Zerstörung, nach Schmerz und Tod und Triumph und Zynismus. Wie man einen Krieg je wieder los wird, kann ich mir nicht vorstellen. Auch nicht, was danach Friede heisst und wann er eintritt.

 

Und so bleibt sie vorläufig hängen, meine Fahne. Nicht nur aus Überzeugung, sondern auch mit einem Rest Verlegenheit und Scham. Weil dieser Krieg so viele andere übertönte, weil man so schnell vergisst, weil man schlussendlich zu wenig tut und nur immer zu viele Worte macht. In dieser Welt, flüstert man sich ein, verliert man ohne Routine im Vergessen und Wegschauen, jeden Tag entweder sein Herz oder seinen Verstand. Die Scham bleibt trotzdem, aber die Reue ist billig. Sie hat mich nur zehn Franken gekostet.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2003 / Kolumne