Von Kirchen und Antennen

 

„Kirchtürme: umgekehrte Trichter, das Gebet in den Himmel zu leiten“, so sinnierte einst Georg Christoph Lichtenberg. Kirchtürme: interessante Antennenstandorte für Mobiltelefonnetze, so deutet man rund zweihundert Jahre später das Potential dieser architektonischen Himmelsverbindung. Auch das kann Sinn machen. So wird denn folgendermassen für dieses Vorhaben geworben: „Der Wunsch der Menschheit zu kommunizieren kennt keine Grenzen. Aber wir sind doch froh, dass die Menschen miteinander sprechen und somit Probleme vermeiden oder beseitigen. Die neueste Art der Kommunikation der Menschen ist das Mobiltelefon und so manch einer kann sich besser verständigen, wenn er seinem Gesprächspartner nicht direkt gegenüber sitzt.“ (Comsite)

 

Nun ja, irgendetwas wollen sie sicher, die mobilen FreizeittelefoniererInnen. Ob es die Vermeidung oder Lösung von Problemen ist, bessere Verständigung durch Distanz? Es kann ja sein. Aber vielleicht ist es auch nichts weiter als: „Ich habe ein Handy, also rede ich. Und da ich rede, muss ich sicher etwas zu sagen haben. Und da ich etwas zu sagen habe, muss ich offensichtlich von Bedeutung sein. Kommunikation gepaart mit Eitelkeit, wenn es denn überhaupt Kommunikation ist, was hier stolz in aller Öffentlichkeit vorgeführt wird. Soviel wie geredet wird, kann gar nicht zugehört werden, und es scheint fast, als gäbe es ein neues Gesetz, das besagt: redet, redet, redet, denn wer redet, ist nicht tot.

 

Nun kann sich eine Kirche natürlich dem offen sicht- und hörbaren Bedürfnis nach Kommunikation nicht verschliessen, schliesslich versteht sie sich selbst als Fördererin von Verständigung unter Menschen. Und auch Beten ist schliesslich nichts anderes als Kommunizieren, in der Erwartung, es sei jemand am anderen Ende der Verbindung und höre zu. Es scheint ganz vernünftig, dass die Kirchtürme, die immer weniger Gebete in die Himmel leiten, nun zur Herstellung näherliegender Verbindungen genutzt werden sollen. Vernünftig und nicht ganz frei von Ironie. Mag es auch an kirchlichen Antennen für die Befindlichkeit der Menschen im ausgehenden Jahrtausend mangeln, so stellt sie doch wenigstens Raum für jene Ersatzantennen zur Verfügung, die den ihren turmhoch überlegen scheinen. Beten oder telefonieren – natürlich sind das keine Alternativen, aber man könnte sich ja auch sagen: lieber Gespräche auf als versickernde Worte unter dem Dach.

 

Sich mit Ironie zu wappnen gegen die Tatsache, inzwischen relativ bedeutungslos zu sein, ist nicht einfach. Schon gar nicht, wenn man überzeugt ist, beizutragen zu dem, was ein gutes menschliches Leben ausmacht. Ein paar Jahrzehnte erst ist es her, da hing der Glaube an der Angst, wie an einer Leine. Und plötzlich verliert er den Boden unter den Füssen, verdunstet, verflüchtigt sich, verfestigt sich vielleicht viel später erst in neuer Form. Einstmals stolze bauliche Verdeutlichungen kirchlicher Ansprüche auf Gegenwart und Bedeutung, sind die Kirchen für viele heute nur mehr Anti-Thesen oder blosse Ästhetik. Aus der Kathedrale wird ein religiöser Themenpark, die Dorfkirche wird Teil der Landschaftsgestaltung: Er fände die Kirche zwar grässlich, schreibt Joseph von Westphalen, aber ein Dorf ohne Kirchturm sei kein Dorf und eine Fahrt über Land mache keinen Spass, wenn nicht der Akzent eines Kirchturmes die Landschaft belebe.

 

Nun möchten die Kirchen nach wie vor mehr als die Landschaft beleben. Das Leidige ist nur, dass sie dafür nicht lebendig genug scheinen. Und obwohl an vielen Orten, weltweit, ganz viel Wichtiges, Spannendes und Hilfreiches geschieht im Raum Kirche, nimmt man das hierzulande nicht mehr gross zur Kenntnis. Bedauerlich für jene, die diese Arbeit tun, und doch gleichzeitig auch entlastend und anregend. Wenn nichts mehr geht oder beinahe nichts, dann ist da plötzlich viel Raum für Experimente. Ein kirchliches Leben jenseits der Routine, das könnte durchaus für Überraschungen gut sein. Funktionieren kann das aber nur, wenn man nicht mit dem Rücken zur Wand steht, wo man von allen überhört tapfer seine alten Worte in den alten Formen aufsagt. Ein paar Schritte mitten ins Getümmel sind schon notwendig. Auch mit der Vorstellung muss man sich anfreunden können, eine Anbieterin unter vielen anderen zu sein. Ob es einem gefällt oder nicht, gegenwärtig ist der Mensch immer auch Kunde und die Rollen haben sich umgekehrt: Die Leute bestimmen, was sie wollen, und tun nicht mehr einfach, was sie sollen. Dass sie sollen und was, muss man jetzt gut begründet vertreten, anstatt einfach verordnen. Zu vermitteln, was in den eigenen Augen für menschliches Wohlergehen unverzichtbar ist, braucht Phantasie und Ausdauer. Niemand behauptet, dass das einfach ist. Wo früher die Kirchen mit ihrer unangetasteten Autorität den leichten Teil hatten und die Leute dafür die Probleme, ist es heute eben umgekehrt.

 

Wenn Kirchen in Zukunft mehr bleiben wollen als günstige Antennenstandorte, Themenparks oder denkmalgepflegte Kunstobjekte, dann muss es ihnen besser als jetzt gelingen, zu zeigen, dass sie etwas geben können, das es lohnt, auch genommen zu werden. Und dass der grössere Raum, für den sie stehen, sich durchaus mit dem menschlichen Wünschen verträgt, denn „Beten ist wünschen, nur feuriger“. (Jean Paul)

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 1999 / Kolumne NLZ