Trendscout

 

Irgendwo muss es parallel zu den Mode(n)macherInnen auch so etwas wie WortstilistInnen geben, Leute, die die richtigen, verführerischen Worte für Dinge entwickeln, die vielleicht nicht nur richtig sind. Ein solches Wort, dem man in letzter Zeit allenthalben begegnet, ist das Wort "Trendscout". Um zu wissen, was ein Scout ist, genügt es, Karl May gelesen zu haben. Und so ist man denn zumindest fähig einen Trendscout als Trendspäher zu identifizieren. Natürlich könnte man Scout auch einfach mit Pfadfinder übersetzen, aber ein gemeiner Pfadfinder kann es wohl nicht sein; er bedeutet zuviel Tradition und zu wenig Trend.

 

Was ein Trendscout mit einem Scout aus den Geschichten rund um die Eroberung des amerikanischen Westens gemein hat, ist, dass er Vorhut ist, Späher, der den nachrückenden Eroberern die gangbaren Wege zeigt. Nicht Armeen diesmal, keinen Siedlern auf der Suche nach Land, sondern Industrien mit Produktebedarf. Ihre Beutezüge gelten demnach Ideen, neuen Entwicklungen, Stilen, in Produkte übersetzbaren Trends. Jagdgebiet ist dabei das Territorium jener Gruppe, die gegenwärtig den Trendbeobachtern als die innovativste und kreativste gilt: die Jugend respektive die jugendliche Subkultur. Sie ist es, in der man die modemässige Zukunft erkennt. Der Film- oder Rockstar, auch der Laufsteg haben in dieser Rolle ausgedient. Trendscouts durchstreifen die Jugendszenen der Grossstädte, beobachten, was sich an neuen Trends abzuzeichnen beginnt und melden es weiter an die zuständigen Industrien, die es in verkaufbare Produkte umsetzen. So einfach, so erfolgreich, und doch ist hier Erfolg ein flüchtiger Stoff. Ein Trend stirbt am Erfolg, Trend und Masse schliessen sich aus. Am Trend ist interessant nur, dass er überrascht, dass er auffällt, etwas initiiert und so individuellen Statusgewinn verspricht. Die Leute müssen hinsehen, egal ob aus Irritation, Neid, Ekel oder Interesse. Schlimm ist es deshalb, wenn ein Trend die ganze Altersgruppe umfasst, schlimmer, wenn sogar die Fünfjährigen schon mit dabei sind, am schlimmsten, wenn er gar die RentnerInnener packt. Wenn Kleider nicht länger Statussymbole sind, sondern Meinungsträger, so wird die Verwischung der Altersgrenzen zum Problem. Was soll denn ein Fünfzehnjähriger mit Nike-Turnschuhen schon gross dokumentieren, wenn die eigne Grossmutter damit herumläuft?

 

Der neueste Trend – so vermeldet es jedenfalls eine führende Trendscout – geht mit einer gewissen Logik in Richtung Diskretion: man sieht nicht mehr, was man sehen muss. Stealth Status heisst er und bezieht seinen Namen von jenem High-Tech-Bomber, dem Stealth-Jet, der auf dem Radar unsichtbar bleibt. Modemässig umgesetzt und bombensicher erfolgreich heisst das: der Markenname, unabdingbar notwendig, ist nicht mehr sichtbar. Drei Streifen, ein Nikesymbol, ein Schriftzug? Ach wie war das doch ordinär! Man ist dezent geworden, zurückhaltend, elitär; Kleidermarken und ihr Preis sind nur noch für coole Leute erkennbar. Deshalb braucht es jetzt neben den meist erwachsenen Trendscouts auch Coolhunters, Kids, die Bescheid wissen, was cool genug ist, um cool zu sein.

 

Nur was cool ist, ist heiss. Etwas verquer, aber nicht irritierender als die Tatsache, dass eine Gesellschaft, die sozusagen immer älter wird, Jugendlichkeit zum höchsten Wert stilisiert. Mit Respekt hat das wenig zu tun, eher mit Gier nach der Essenz dessen, was Jugendlichkeit ausmacht: Kreativität, Schönheit, Risikobereitschaft, Überschuss an Kraft und Träumen. Das Ganze hat etwas Räuberisches. Nicht Jugend ist der Traum, sondern Jugendlichkeit. Jugend hat eher einen schlechten Ruf, bemerkt wird sie in der Regel, wenn sie auffällig wird: in Arbeitslosigkeits-, Kriminalitäts- oder Unfallstatistiken. Das Interesse gilt demnach nicht eigentlich der Jugend, viel eher dem, was sich darin ordentlich ins Gegebene fügt: ihren Verheissungen, die sich in Waren verdichtet kaufen lassen. Und die Trendscouts, diese unermüdlichen Pfadfinder der Warengesellschaft, sind, wie man uns berichtet, unterwegs, es für uns aufzuspüren. Für uns, die wir gemäss unserem Ruf nichts lieber tun, als Zeugs kaufen.

 

Vor Jahren gab es ein Graffiti zu sehen, es hiess: "Ihr wollt ja nur unser Bestes, aber das kriegt ihr nicht!" Es scheint, wir kriegen es doch.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 1998 / Kolumne NLZ