"Das Mädchen, das die Knaben schlug"

 

Das klingt nach einem Kinderbuch, ist aber keins, lesen tät man's trotzdem gern. Ein Film ist es auch nicht, und schon gar kein Märchen. Bloss eine Überschrift zu einem kleinen Ereignis und das handelt nicht von einem bösen Mädchen, sondern von einem guten Mädchen, einem hübschen und klugen und netten. Es heisst Rahel Goldschmid und gewann das Zürcher Knabenschiessen Mitte September dieses Jahres.

 

Ein kleiner Sieg für ein Mädchen, ist man versucht zu sagen, aber ein grosser für die Frauen: "Endlich", "Durchbruch", "sensationell",  "historisch" so liess sich die Zürcher Politprominenz vernehmen – gerade so als sei eine für das Überleben der Menschheit äusserst weitreichende Entdeckung gemacht worden: Mädchen können schiessen und o Wunder auch noch ins Schwarze treffen.

 

So spannend ist das doch nicht; weshalb diese Euphorie angesichts der schlichten Tatsache, dass Mädchen schiessen können? Schliesslich haben sie ebenfalls Augen und Arme und ein Hirn und allerlei normale menschliche Fähigkeiten.  Spannend daran ist höchstens, was in ein so kleines Ereignis alles verpackt scheint – ein bisschen Politik, eine Prise Feminismus und damit das Ganze nicht zu bekömmlich wird, auch ein bisschen vom Gegenteil.

 

Name ist Schall und Rauch

 

Seit 1991 dürfen die Mädchen am Knabenschiessen teilnehmen, auch wenn sie keine Knaben sind, nur dass das die Mädchen scheinbar nicht stört. Ein Schuss ist ein Schuss und ein Name nur Schall und Rauch; das siegreiche Mädchen jedenfalls sieht keinen Grund, die ganze Veranstaltung jetzt in Jugendschiessen umzutaufen.

 

Dieses Mädchen muss man doch einfach lieben, so vernünftig und klug, wie es ist.

 

Wenn schon in Traditionen Keile treiben, wenn schon eine Waffe in die Hand und sich unters Knabenvolk mischen und erst noch die Höchstpunktzahl erreichen, dann wenigstens sanft abgefedert und nicht noch feministisch zugespitzt. Sie wird zurechtkommen.

 

Die feministische Prise zur Würze dieses Sieges trägt nicht die Siegerin bei, sondern Regierungsrat Buschor, der diesen neuen Namen vorschlug; er ist nicht der erste und wird nicht der letzte Mann sein, der seine Lektion in Sachen Feminismus gelernt hat, auf jeden Fall den Gleichheitsjargon beherrscht und sich plötzlich in der etwas befremdlichen Position wiederfindet, Frauenanliegen gegen den Einspruch von Frauen zu vertreten. Denn sie existieren ja nach wie vor, die Frauen der befriedeten Wesensart, die nicht emanzipatorisch-aufgescheuchten und aufs Nörgeln abonnierten, die grosszügig und mit Charme diese doch höchst unangenehme Sache, die von Macht und Gerechtigkeit handelt, umgehen.

 

Sicher, es geht hier um ein Mädchen, und es ist erst fünfzehn Jahre alt, und natürlich manövriert sich niemand gerne freiwillig ins Abseits, nicht in diesem Alter, nicht als Mädchen, das zu Recht und leider realisiert, dass auf dem Frauenbeliebtheitsmarkt noch immer mädchenhaft-zurückhaltend gestimmte Nettigkeitsregeln gelten. Verstehen lässt sich das, wenn auch ungern. Bloss die unnötigen Zugaben, die können einen wirklich ärgern. Zugaben, die zum Beispiel so aussehen: Ein Sieg ist nicht das Resultat von Können, sondern das Resultat von Glück. Der enttäuschte Zweite des Knabenschiessens war nämlich der Meinung, es habe die Bessere gewonnen, das Mädchen jedoch will davon nichts wissen und redet vom Glück. Muss das nun wirklich noch sein? Nur ja niemanden mit Stolz provozieren, weil es könnte ja sein, dass der Fall auf den Fuss folgt, der sicher irgendwo nur darauf wartet, ausgestreckt zu werden, damit frau auf die Nase fällt. Lieber nicht im Rampenlicht Stärke markieren, lieber so, dass es gar niemandem auffällt. Nur schade, dass man mit dem diskreten Charme der Zurückhaltung und Bescheidenheit vielleicht ein liebevolles Schulterklopfen gewinnt, aber leider niemals Respekt.

 

Das Mädchen hat vielleicht einfach Rahel Goldschmid sein wollen, was ihr gutes Recht ist, aber leider nicht möglich, wenn Frauen in männliche Reviere eindringen. So eine Frau handelt nicht für sich, sondern exemplarisch und stellvertretend für alle Frauen. Rahel Goldschmids Sieg war nicht Rahel Goldschmids Sieg, sondern ein Durchbruch für die Frauen.

 

Nicht nur den Frauen, die Grenzen überschreiten und Durchbrüche erzielen, sitzt dieses Kollektiv im Nacken. Auch vielen Männern behagt die Idee nicht, dass man sich mit der Einen, die man ja noch verkraften könnte, imgrund alle einhandelt. Die Nischen werden knapp, wo der Mann männerbündlerisch überleben darf, ohne Blatt vor dem Mund und genussvoll politisch unkorrekt.

 

Die Zürcher Mannen jedenfalls erfüllt nicht allesamt eitle Freude über die Schützenkönigin und der Kommentator im Tages-Anzeiger rät den Frauen denn auch etwas süffisant, es wäre besser, nächstes Jahr würde erneut ein Knabe gewinnen, ansonsten ihnen angesichts der guten Schützinnen und einer schrumpfenden Schweizer Armee die allgemeine Wehrpflicht blühen könnte.

 

Bisher war das eine klare Drohung, ganz dem Bild verpflichtet: Den Frauen die menschenfreundliche Pflicht des Hegens und Pflegens, den Männern sozusagen die Drecksarbeit des Jagens und Tötens. Vielleicht ist inzwischen der Rat des Kommentators aber gar kein guter Rat mehr, sondern blosser Zynismus. 80% der Kriegsopfer, lese ich am selben Tag in der NZZ, sind in den Kriegen der 90er Jahre Zivilisten. Wer seine Überlebenschancen verbessern will, gehe zur Armee! Welch eine Werbekampagne ergäbe das. Nicht, dass diese Tatsache zum Plädoyer für den Armeeeintritt der Frauen reichte, zum Nachdenken aber allemal.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 1997 / Kolumne NLZ