Barbie lebt!

 

Vor gar nicht so langer Zeit verband man mit dem Wort Silicon noch diese kleinen Chip-Wunder, die unsere Welt ebenso gründlich umbauten wie ehemals vielleicht die Dampfmaschine oder das Telefon.

 

Es gab einen Silicon-Ballungsort, wussten wir, der lag in den USA und hiess Silicon-Valley, inzwischen gibt es einen solchen auch in Indien.

 

Silicon-Ballungsgebiete neueren Datums, nicht ortsgebunden, sondern tragbar, also mobil – vollends im Trend – liegen inzwischen an der Frontseite von Frauen.

 

Silicon wird zwar noch immer mehrheitlich in der Computerindustrie und im Häuserbau verwendet, aber dennoch ist sein Einsatz im Bereich der Körperarchitektur inzwischen beachtlich.

 

Die traurigen Untertöne dieses Brustspektakels liegen in der Silicon-Behandlung nach Krebserkrankungen und Unfällen und dienen hier in erster Linie dem Versuch einer physischen und wohl auch psychischen "Wiederherstellung", so weit das eben möglich ist.

 

Das meiste jedoch, was darüberhinaus an Körperkorrekturen erfolgt, bietet Stoff für Tragikkomödien oder wird mit zunehmender Grössenordnung zur Groteske. Manchmal scheint es, Doktor Frankenstein sei erneut am Werk und schaffe, was er bisher versäumte: eine Gefährtin für sein monströses, einsames männliches Geschöpf – bloss weniger alptraumhaft, bloss hübscher dieses Mal.

 

Als Mary Shelley zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts ihren Roman "Frankenstein" schrieb, sass sie zusammen mit Freunden in einer Villa am Genfersee; sie erzählten sich Gruselgeschichten und diskutierten über die physischen Grundlagen des Lebens. Man beschloss, jeder für sich, eine Gespenstergeschichte zu schreiben. Mary Shelley allein nahm den Vorschlag ernst und schrieb die berühmt gewordene Geschichte jenes unglücklichen Mannes, der zum Archetyp der Moderne wurde: ein von Menschenhand aus Leichenteilen zusammengeflicktes, hässlich anzuschauendes Monster mit überragender Intelligenz.

 

Natürlich würde man das Bild überstrapazieren, wenn man es eins zu eins auf die durch Menschenhand geschaffenen neuen Evas anwenden würde. Ein paar merkwürdige Gemeinsamkeiten lassen sich dennoch ausmachen.

 

Da gibt es zum Beispiel diese Frau mit Namen Lolo Ferrari – ihr wurde anfangs September im "Spiegel" ein Portrait gewidmet. Lolo Ferrari ist 165 cm gross, ihre Oberweite misst stolze 130 cm, das ist (noch!) Europarekord, weltweit steht sie damit auf Platz vier. Jede Brust wiegt 3 kg.

 

Ist das Volumen oben beachtlich, so sind die Beine hingegen superschlank – schön, bloss tragen sie die Frau auch kaum mehr weit. Die Nase, mehrmals verkleinert, trägt ihren Teil dazu bei, denn zur normalen Atmung taugt sie nicht mehr. Die Lippen, vollgespritzt mit Silicon, wurden bardotmässig nach oben gezogen, ein paar Siliconpolster noch auf Wangenknochen und Stirn und fertig ist das Frauenwunder mit dem Wunderbusen. Erschaffen wurde die Frau, sinnigerweise hiess sie vorher Eve, nicht aus dem Rippenknochen eines Adam, sondern mit Siliconkissen und nach einem Computerbild, das nicht Gott, sondern der Ehemann entwarf.

 

Doktor Frankenstein schuf einen Mann, der war hässlich, und die Menschen fürchteten ihn. Lolo Ferrari ist eine Sensation, und wer sie für monströs hält, sagt sie, zwickt bloss der Neid. Den Männern, jenen, die es zugeben können, gefällt sie, sagt sie. Lolo Ferrari ist natürlich kein Monster, auch wenn ihre Brüste monströs aussehen. Sie ist auch keineswegs in die ideologische Nähe jener uralten Göttinnenfiguren mit den Riesenbrüsten zu rücken, welche weibliche Fruchtbarkeit symbolisierten. Ihr Busen ist kein Busen der Natur, an dem man(n) und Kind gerne ruht. Abgesehen davon würde ein Kind ihr glatt den Körper ruinieren und der ist schliesslich kein schnödes Fortpflanzungsinstrument, sondern ein Gesamtkunstwerk und ein einträgliches dazu. Die 130 cm machen eine Menge Geld.

 

Diese künstliche Frau ist nicht dumm, sie passt sich bloss an, wenn auch an die Übertreibung. Schönsein allein genügt nicht (mehr), davon gibt es mehr als genug. Nur wer etwas ins Extreme steigert, wird gesehen, jedenfalls bis sich die Augen auch an das noch gewöhnen. Diese Frau tut nur das, was andere in ihren Labors längst tun, sie definiert die Grenzverläufe neu. Sie holt, etwas spät vielleicht, nach, was andere am Keim bereits erproben: des Körper-Glückes Schmied zu sein. Dass sie dabei vor allem Schönheit meint, mag etwas beschränkt sein – die GenforscherInnen haben wenigstens ganz altruistisch das Glück der Menschheit im Sinn – und auch naiv, denn wo sind wohl die sechs Kilo in ein paar Jahren anzutreffen, aber sie definiert lediglich ihre Art von Glück in einer Kultur, in dem sich ein Individuum schon sehr anstrengen muss, um Beachtung zu finden.

 

Auch wenn beide an diesem neuartigen Versuch des "Lasst uns Menschen machen" beteiligt sind, die GenforscherInnen und die neue Eve mit ihren Chirurgen, so ist ihrer doch vergleichsweise harmlos, denn ihre Botschaft ist simpel, leicht zu durchschauen und in ihrer ganzen Absurdität gleichsam ins Auge springend, denn sie heisst schlicht und ergreifend nichts anderes als: Barbie lebt!

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 1997 / Kolumne NLZ