Der süsse Traum der Freiheit

 

1886 hat Amerika der Welt die Freiheitsstatue geschenkt und Coca-Cola, schreibt verwundert und amüsiert zugleich die kroatische Schriftstellerin Dubravka Ugresic in ihrem "American Fictionary".

 

Wäre es nicht wahr, die Gleichzeitigkeit wäre dennoch brilliant. Die Freiheit paart sich mit Coke, oder: So süss kann Freiheit sein: "Für Arm und Reich, für gross und klein, für jede Jahreszeit, steht es für jederman bereit. Coca-Cola, klarer Fall, Coca-Cola überall" – oder ging es um die Freiheit? In jedem Fall: Es lebe der Zucker!

 

Im Jahre1886 wurde die Freiheitsstatue im Hafen von New York installiert. Der Ort zeugte von Stolz: Hinter ihrem Rücken oder in ihrem Schutz, wie man will, lag Ellis Island, jene Einwanderungsstation, die alle Immigranten durchlaufen mussten, um ins gelobte Land Amerika zu kommen.

 

Miss Liberty war das goldene Tor zur Freiheit, das allen offen stand, die mühselig und beladen waren und ohne Heimat – so zumindest steht es auf der Sockelinschrift. Gewichtige Sätze, schöne Sätze, gerade in Anbetracht der Tatsache, dass die Amerikaner der Freiheit diesen Sockel gar nicht bauen wollten. Die Statue selbst war nämlich ein Geschenk Frankreichs, für das die Initianten kaum das Geld aufzubringen vermochten; ebenso unwillig wie die französische Öffentlichkeit waren die Amerikaner, die sich mit der Finanzierung des Sockels schwertaten. Der 100. Jahrestag der amerikanischen Revolution (1776), zu dessen Zeitpunkt die Statue hätte fertiggestellt werden sollen, wurde gerade mal um 10 Jahre verpasst. Vielleicht waren Statue und Idee einfach eine Nummer zu gross. Seit 1886 steht nun zwar diese stählerne Form der Freiheit, am Inhalt wird theoretisch, manchmal auch praktisch,nach wie vor gearbeitet.

 

1886 entwickelte in Atlanta John S. Pemberton, Drogist und Industriechemiker, nach nächtelangem Mixen, Kochen und Probieren, unter anderem aus Kokablättern (Coca), Kolanüssen (Cola) und einer Unmenge Zucker jenes Getränk, das bis heute, neben McDonald, Levis und Hollywood den Traum von Amerika verkörpert: den Traum von allem, was möglich ist, oder von allem möglichen, wenn es nur gross ist und schnell und Spass macht und den grossen Rest vergessen lässt. Ob Getränk oder Gefühl, in jedem Fall: Sweet dreams! Nicht nur die AmerikanerInnen mögen das, sonst wäre dem Siegeszug dieser Botschaft um die ganze Welt nicht solcher Erfolg beschieden.

 

Während des 2.Weltkriegs wurde Coca-Cola von der Zuckerrationierung ausgenommen, denn, so der Präsident der Coca-Cola Company, jeder Soldat, wo immer er auf diesem Globus für die Freiheit kämpft, hat Anspruch auf seine Flasche Coke. Coca-Cola wurde zum kriegswichtigen Gut erklärt, und man schuf weltweit neue Verteilsysteme. Nach Kriegsende mochten zwar mit den Jahren die amerikanischen Soldaten abziehen, Coca-Cola aber blieb und mit ihm der Traum jenes Landes, wo Coca-Cola fliesst und das himmlische Manna Big Mac heisst.

 

Amerika habe zur Entwicklung der Menschheit nichts beigesteuert ausser Chewing-gum und Coca-Cola, spotteten in den 40er Jahren die Nazis. Coca-Cola verführe zur Lasterhaftigkeit, befürchteten gewisse kommunistische Ideologen des Kalten Krieges; Coke wurde jedenfalls im guten wie im schlechten zum Inbegriff Amerikas: seiner Freiheit und Demokratie oder seines vergnüglichen Lebensstils.

 

Coca Cola ist nicht bloss Lebensstil, es hat etwas von einer Religion. In den 80er Jahren wurde versucht, eine verbesserte Geschmacksrichtung zu lancieren, erfolglos. Der Protest war enorm und fundamental: "In meinem Leben gab es nur zwei Grössen von bleibendem Wert: Gott und Coca-Cola. Einen dieser zentralen Werte haben sie mir weggenommen", schrieb etwa eine erboste Frau. Kein Wunder, da Gott gemäss dieser neuen süssen Zwei-Naturen-Lehre wie Coca-Cola ist: "God is like Coke. The real thing", so will es die Inschrift auf der Wand einer amerikanischen Baptistenkirche. Gott ist allmächtig, Coca-Cola auch, wenn man es nur tränke. Sogar die Geschichte wäre anders verlaufen, lehrt uns die Cola-Werbung der 70er Jahre: Julius Cäsar beispielsweise hätte mit Coca-Cola und ausreichenden Lateinkenntnissen seines Gegners überlebt. Cäsar nämlich fragte Brutus: "Et tu, Brute?, was soviel heisst wie: Willst du auch eins, Brutus? Unglücklicherweise war Brutus in Latein durchgefallen, und im Glauben, er sei beleidigt worden, erschlug er Cäsar auf der Stelle, der die unsterblichen Worte sprach: "Res melius evinissent cum Coke ..." – Besser wär's mit Coca-Cola gegangen. Wer's trinkt, wird selig.

 

Das Jahr 1886 ist nicht nur das Geburtsjahr von Freiheitsstatue und Coca-Cola, das Jahr 1886 ist auch das Jahr harter Arbeitskämpfe. Am 1.Mai 1886 kam es deshalb in Chicago zu einem Generalstreik, und seit 1890 wird der 1.Mai in Erinnerung an Chicago als Internationaler Kampf- und Feiertag der ArbeiterInnen begangen. Die Repräsentanten des Geldsackes hätten die Freiheitsstatue eingeweiht, heisst es ein paar Monate später in einer Chicagoer Zeitung, "ein Bild ekelhaftester Heuchelei ... Doch lasst sie ihnen, ihre Freiheit aus Bronze. Wir wollen uns eine andere erkämpfen, die erwärmen und begeistern soll die Herzen aller Menschen."

 

Auch das ein Traum, nicht süss, bitter, so alt ist er. Er lässt sich auch mit Coca-Cola nicht runterspülen, hoffentlich. Es sei denn, wir sind tatsächlich allesamt so verrückt, wie die Leuchtschrift vermuten lässt, die die Astronauten nach der ersten Mondlandung auf dem Time Square erwartete: "Willkommen auf der Erde. Der Heimat von Coca-Cola."

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 1997 / Kolumne NLZ