Staubiges Glück – oder: Von Frauen, die auszogen, das Putzen zu verlernen

 

Lernen braucht seine Zeit, Verlernen auch. Jahrhundertelang galt hierzulande: Die Welt der Frauen sei das Haus. Nach vielen Kämpfen wurde teilweise umgelernt und es heisst jetzt: Die Welt der Frauen seien Haus und Welt – je nach Platz und Bedarf.

 

Dem hatten sich auch die Träume anzupassen. Sie waren zum Glück ausreichend elastisch, liessen sich dehnen und zurückschnellen.

Das Zweite tut in der Regel weh.

 

Die Haus-Welt

 

Frauen lernten also in einer ersten Phase, dass auch das Haus ein Stück Welt ist, bloss halt ein bisschen kleiner. Gewohnt in Korsetten zu leben, galt Beschränkung als eine Form von Sicherheit. Jenseits solcher Zuschnürungen gingen Geist und Fleisch Freiheiten auf, strahlend, aber auch blendend und grell. Manch eine kniff lieber die Augen zu und blieb, wo sie war. Liess sich Nur-Haus-Frau nennen – im "nur" strich man ihr die Welt – und begann sich zu schämen; oder sagte es trotzig, mit der Staubtuchtrophäe in der Hand, als sei der Begriff Hausfrau eine Form weiblichen Coming outs: Ich bin Hausfrau, und es ist keine Krankheit!

 

Wie auch immer diese Lebens-Kunst heissen soll, die Frauen sich im engen Verantwortungsrahmen von vier Wänden erwarben, eine weibliche Fähigkeit kam ihr entgegen: der Sinn für Ordnung. Frauen sind, scheint es, an der Ordnung sehr interessiert, nicht nur im Haus, auch kosmisch verstanden: sie wollen, dass alles ganz ist, irgendwie abgerundet, glatt, harmonisch. Jahrhundertelang liess sich dieser Ordnungssinn aber lediglich häuslich nutzen. Während Männer im Bereich der Weltumordnung beschäftigt waren – freiwillig oder gezwungen – schlugen die Frauen ihre Schlachten mit Besen und Staubtuch und grossen Ideen von neuen Menschen, die sie am Busen ihrer Grossherzigkeit nähren.

 

Die Welt ist das Haus

 

Aufgrund verschiedener Umstände gelangten immer mehr Frauen in die sogenannte Öffentlichkeit und wollten auch da nach dem Rechten sehen – das Putzen und Aufräumen zuhause füllte dank neuester Technologien längst nicht mehr den Tageslauf, auch die Wünsche nicht. Schmutzbeseitigung, Bereitstellen von Lebens-Mitteln für alle, überhaupt Neuordnen sollte sich nicht länger in der Nische des Kleinräumig-Häuslichen verstecken, sondern stolz im Weltmassstab stattfinden. Die notwendigen Besen waren vorhanden, in Kopf und Hand. Auch das Küchenlatein: Kein Stück vom Kuchen wollten sie, sondern einen neuen Kuchen – und backen, das konnten sie. Seither sind sie mit Mischen, Sieben, Würzen und Kneten beschäftigt, einfach ist es nicht, der Teig ist zäh, klebt an den Händen, die Ärmel bleiben aufgerollt, schmutzig ist der Tisch und noch lange zum Festmahl nicht gedeckt. Und so werken sie denn ganzheitlich und stolz gestresst von morgens bis abends; mit der einen Hand halten sie das Haus in Ordnung, die andere knetet derweil die Welt zu neuer Form.

 

Putzdrang

 

Irgendwie ist das ja schön und gut, aber ganz so haben es sich eigentlich die wenigsten vorgestellt, jene zumindest nicht, die ausserhäusliches Arbeiten nicht einfach mit dem notwendigen Broterwerb verbinden mussten, sondern ihn mit dem Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung anreichern konnten. Gewiss mischen mehr von unsereins nicht mehr nur Speis und Trank zum familiären Wohlgefallen und beseitigen Schmutz zwecks häuslichen Glanzes, doch auch ausserhalb der vier Wände macht frau sich ab und zu die Hände schmutzig, nur eben anders als zuvor, Seife genügt nicht mehr, um diesen Dreck abzuwaschen. Die Beteiligung am Ordnen und In-Gang-halten der Welt mehrt nicht unbedingt die erträumten menschenfreundlicheren Züge, sondern oftmals bloss das Versagen, die Resignation – und die Erschöpfung.

 

Fensterputzen liess die Welt eindeutig leichter zum Strahlen bringen.

 

Der rettende Besen

 

Putzen ist schon recht, aber zu verlernen ist die Vorstellung, es liesse sich damit ein für alle Mal Sauberkeit erreichen. Erfahrungsgemäss wird Dreck nicht beseitigt, sondern bloss verschoben, von einem Ort zum andern. Mit Problemen geht es in der Regel nicht anders. Wir sollten wohl von unserer Welt-Verantwortung jene Schicht Illusion kratzen, die meint, wir könnten alles wesentlich besser als alle je zuvor, wenn man uns bloss liesse oder wir es eindringlicher als bisher an die Hand nähmen.

 

Wahrscheinlich wäre es dienlicher für alle, wir verpflichteten uns nicht darauf, Staub zu wischen und die Welt zu reorganisieren, sondern das allgemeine Tempo zu drosseln, das alle erschöpft. Die Arbeit in Haus und Welt zu dosieren, das, was knapper wird, gerechter zu verteilen und doch zu leben, jetzt und nicht später einmal. Lernen, sich auf weniger einzustellen, an Arbeit und Gütern, braucht Phantasie, Mut und viel Musse – für all jene Dinge, die wir für unsere Selbstgewissheit dringender brauchen als eine vollgeschriebene Agenda, die strotzt vor Verpflichtungen und in der Regel in der Welt das Papier vermehrt und nicht den Geist, auch "das Rettende" nicht.

 

Frau Superfrau ist nicht super, Frau!

 

Es gibt Frauen, die haben genug davon, Frau Superfrau zu spielen, "Heldinnen der Arbeit", wahnsinnig tüchtig, immer auf Trab und im Schuss und dabei noch das Körpergewicht halten und die PartnerIn und kein Tag ist lang genug für das, was sie noch alles vermöchten. Frauen, denen das nicht mehr zum Stolz gereicht und die liebend gerne lernen, den Staub zu lieben, nicht um aus der Tür zu rennen und sich der Rettung der Welt zu widmen, sondern um sich hinzusetzen und darüber nachzudenken, welches sinnigerweise ihr Beitrag dazu ist: nicht jener der Frau Superfrau, die drei Leben lebt, sondern jener der Frau, die für all das bloss ein einziges Leben hat, unwiederholbar, ohne heimliche Reserve, zwar verantwortlich, aber auch nüchtern genug, sich über das eigene Vermögen nicht zu täuschen und mit einem gewissen Wohlwollen für die Trägheit, das Nichtstun, für all diese Oasen der Musse, die es braucht, damit frau auch morgen noch vor die Tür gehen und die Welt sehen mag. Nicht wunschlos glücklich, aber glücklich, auch wenn der Staub aller Tage darauf liegt.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 1996 / Kolumne NLZ