Schön sein ist gut, schöner sein besser

 

Es wird Sommer. Unausweichlich naht die Hochblüte der Aesthetik. Das Fleisch wird wieder ans helle Licht gezerrt, notgedrungen; die Kleiderschichten werden dünner, bloss das was drinnen in selbstvergessenen winterlichen Schonraum sich hüllte, teilt dieses Schicksal nicht, zumindest nicht bei allen.

 

So ist denn wiederum, wie jedes Jahr, die Zeit der Diäten angebrochen, jedenfalls in den einschlägigen Frauenzeitschriften, die sich unermüdlich in den Dienst weiblicher Schönheit stellen, die ja nie schön genug ist, schön genug sein kann – wer kaufte auch sonst all die notwendigen Utensilien für diese lebenslange Heimarbeit zum Zweck der Verbesserung einer schlichtweg schlechten Ausgangslage. Der Geist mag zwar noch so willig sein, aber das Fleisch wird dennoch irgendwann schlaff und geht seine eigenen, selbstzerstörerischen Wege.

 

Schönheit ist ja gar nicht so wichtig, sagen wir uns, sagt man(n) uns; natürlich schon irgendwie wichtig, aber doch nicht so wichtig, auf alle Fälle nicht das Wichtigste. Spätestens dann wissen wir, hellhörig geworden, was kommen wird und irgendwie schon richtig ist und doch nicht wahr. Man bietet uns wohlwollend als Ersatz Intelligenz an, Klugheit, Freundlichkeit, solche Dinge eben. Es soll uns trösten, auch wenn es nicht nach Überzeugung klingt, sondern nach Kompromiss. Immerhin, es könnte schlimmer sein.

 

Mit den Jahren lernt man das Realitätssinn zu nennen.

 

Natürlich, unbelehrbar wie wir sind, freuen wir uns dann doch, wenn wir irgendwo in einem Interview mit einem dieser Traum-Männer eine Bemerkung erhaschen, die uns versichert, dass auch solche wie sie ihre Herz nicht einfach an die Schönheit, sondern in erster Linie und überhaupt an Ausstrahlung, Intelligenz, Charakter usw.usw. usw. verlieren. Alles andere würde ja vielleicht auch zu unziemlichen Fragen betreffend ihrer Weltsicht im allgemeinen und ihres Frauenbildes im speziellen führen. Dass sie sich dann trotzdem mit ausgesprochen schönen Frauen zusammentun, ist keineswegs ein Hinweis auf Unaufrichtigkeit, sondern vielmehr auf eine der Tücken der Natur, die trotz grosszügiger männlicher Zurückhaltung in den Ansprüchen, ab und zu Charakter mit Schönheit schmückt. Dafür kann schliesslich niemand was. Zweifel überkommen uns vielleicht dann, wenn wir zu hören bekommen, dass jener Mann, der eben noch von Klugheit und Persönlichkeit schwärmte, auf die Routinefrage nach der einsamen Insel und was er da mitnehmen möchte, die Liste mit einer schönen Frau anführen lässt. Mit der Zusicherung an den Wert unserer Intelligenz kann es offensichtlich doch nicht so  weit her sein, wenn auch ein mittelmässiger Intelligenzquotient ausreicht, um zu merken, dass das alles ja gar nicht stimmt.

 

Aber eben, was hat Schönheit schon mit Intelligenz zu tun. Natürlich klärt letztere uns immer wieder darüber auf, was es mit ersterer auf sich hat:

 

Dass sich ganze Industriezweige mit Milliardenumsätzen an ihr mästen; dass manch einer gerne im Dienste der Frauen und seinem Konto die Instrumente hervorholt und seine Messerchen schleift; dass Frauen sich für teures Geld delikate Dinge ins Gesicht streichen, die sie gut und gerne essen könnten. Dass keine Frau mehr ein Korsett tragen würde, sich viele aber relativ widerstandslos mit Hunger und Verzicht den sperrigen Leib zur Idealform zu schnüren versuchen. Dass Schönheit, der Versuch, sich ihren immer wieder ändernden Vorgaben anzunähern, ein Machtmittel ist: kaum eine Frau, die nicht an Körperschuldbewusstsein krankt, am Gefühl, nie in Ordnung zu sein, immer von irgendwas zu viel oder zu wenig zu haben oder am falschen Ort. Dass sie ein Konkurrenzmittel ist, unter Frauen zumindest. Spieglein, Spieglein an der Wand ... wir kennen es, aber ein Märchen ist es nicht.

 

Märchenhaft sind höchstens die Gagen, die man damit verdienen kann, wenn man zu den allerschönsten Schönen gehört. Wir nehmen gerne zur Kenntnis, dass Schönheit auch nicht unbedingt glücklich macht, wir glauben es sogar, aber ganz so unglücklich kann man wohl dennoch nicht sein bei einem Stundenlohn von gegen 50'000 oder einem Jahresumsatz von 14 Millionen Dollar.

 

Aber Aufklärung hin oder her, vor der Schönheit geht auch unsere Intelligenz in die Knie und sogar wenn unsere Gedanken etwas mit den Fakten hantieren und im gut verkauften Traum von der Schönheit das täuschende Make-up des Interesses sehen, hilft uns das noch nicht viel weiter. Auch die Tatsache, dass Männer inzwischen nicht mehr bloss kopfschüttelnd neben unseren selbstquälerischen Anstregungen stehen können, und es nicht mehr ausreicht, im herrschenden Prestigesystem ein Mann zu sein, um als ausreichend attraktiv zu gelten, mag uns zwar ein wenig das Gefühl ausgleichender Ungerechtigkeit zu vermitteln, bringt aber auch nicht viel – ausgenommen die zunehmende Bild-Präsenz ausnehmend schöner Männer, mit denen auch der Mann neu zu modellieren versucht wird. (Was aber die Mehrzahl der Männer in der Regel noch nicht allzusehr aufschreckt, jedenfalls nicht als Pflicht zu Selbstverbesserungsanstrengungen verstanden wird).

 

Vielleicht fehlen uns, wenn sogar die Vernunft kapituliert, einfach ein paar Schutzimpfungen gegen Perfektionierungswahn und dann vielleicht noch gegen unnachsichtige Männer- und Frauenblicke und den eigenen bösen Blick, der in der Regel der unerbittlichste ist, ausserdem ein paar Tropfen zur Stärkung unseres Immunsystems in Anbetracht übermässiger und nicht erfüllbarer Ansprüche. Manchmal genügt auch eine Tochter, die, Schande über Schande, vom Schulzahnarzt heimkommt und strahlend verkündet: "Ich bin kalorienfrei!"

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 1996 / Kolumne NLZ