Wargames? O.k., aber bitte keine Liebesspiele!

 

„Lockerer Rudi statt grauer Aktenhengst“, so titelte die NLZ vom 8. September. Der Rudi ist Herr Verteidigungsminister Scharping, und er ist, wie ich lese, ein Problemfall oder wahrscheinlich eher ein Problemphall, jedenfalls ein Problem, ein peinliches dazu, wie es aussieht. Das könnte mir eigentlich egal sein, aber mit den Interessen ist es so: Manchmal benehmen sie sich wie ein Hund, der an der Leine zerrt und es nicht lassen kann, einer Spur hinterher zu schnüffeln. Man stolpert notgedrungen hinterher.

 

Beim Ausdruck Aktenhengst etwa, da kann man schon ins Grübeln kommen. Ich weiss, was ein Hengst ist, ich weiss, was Akten sind, ich weiss sogar, wofür ein Hengst in der Regel steht, aber die Verbindung zu den Akten ist doch irgendwie eigenwillig. Ein bisschen krank auch, diese Umleitung von Leidenschaft auf Papier. Einer, der sich in Papier vergräbt, anstatt ..., na ja, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Es gibt ja auch einen anderen Ausdruck für die daueraktiven Männer in ihren Büros, die ihre vielfältigen Potenzen in Arbeitsleistung kanalisieren; Büroeremiten nennt man sie, diese modernen Asketen, diese Meister der Selbstverleugnung, bereit zum Verzicht, nicht auf Sexualität, nicht auf Macht, Autorität und Geld, aber auf sich selbst als Menschen, die mehr sind als reine Leistung.

 

Der Aktenhengst scheint ja immerhin einer zu sein, der von Leidenschaften getrieben wird, einer – und das ist nicht zum vorneherein auszuschliessen –, der auch Lust an der Welt hat, an ihrer Gestaltung und, wenn wir alle Glück haben, auch an ihrer befruchtenden Verbesserung. Ansonsten wäre er wohl eher ein Papiertiger.

 

Der Aktenhengst, um den es hier geht, wurde zum Problem, als er die schützenden Akten fallen liess und sich unter anderem mit seiner neuen Lebensgefährtin in einem Swimmingpool verlustierte, und das alles just zu dem Zeitpunkt, als deutsche Soldaten Richtung Mazedonien aufbrachen. Während sie dort einen fragilen Friedensplan verteidigen, verteidigt der Verteidigungsminister sein Recht auf privates Glück, das sich auch öffentlich sehen lassen kann. Das gilt als unanständig, als zynische Arbeitsteilung, nach dem Prinzip: I make love and you make the war.

 

Ich weiss, die Sache ist ganz furchtbar komplex, und vielleicht geht es ja auch einfach darum, den Verteidigungsminister loszuwerden. Mag sein, sogar mit guten Gründen. Zudem kenne ich den Herrn Scharping ja nicht, und ich vermute, er wäre mir, würde ich ihn kennen, nicht sonderlich sympathisch. Aber nicht Herr Scharping ist interessant, sondern der kleine Riss, den sein Tun in den Codes der Macht und ihrer männlichen Adlaten zu hinterlassen scheint – etwas, das sonst allein den gebändigten bunten Krawatten obliegt.

 

Herr Scharping macht Fehler, er macht viele Fehler, seit längerer Zeit schon. Sein Umgang mit dem Problem uranverseuchter Munition gilt als skandalös, seine vielen Dienstflüge geben zu reden, aber so richtig ärgern tut man sich ob seiner so unverschämt offen zur Schau gestellte Liebesaffäre. Sie gibt seinem ganzen Tun einen Anstrich der Unernsthaftigkeit. Der Mann wird für seinesgleichen peinlich. Nicht weil er verliebt ist, sondern weil er sich nicht scheut zu zeigen, dass unter den verhüllenden Kleidern von Amt und Macht, die gemeinhin als würdig gelten – Selbstkontrolle, Nüchternheit, Rationalität, Effizienz, Überlegenheit, – der Minister nackt ist wie alle anderen auch. Der unwürdig Verliebte legt offen dar: Auf die Dauer fesseln weder Amt noch Gürtel und Krawatte das auf eigenes Glück versessene Ich.

 

Dass der Mann verliebt ist und das nicht versteckt, spricht eher für als gegen ihn – denn immerhin ist Verliebtheit ein Ausdruck von Lebenslust, aber auch von Abhängigkeit und Verletzbarkeit, von Dinge also, die zum Nimbus der Macht so gar nicht passen wollen. Der Mann, scheint es, vergisst sich, vergisst, Mann in Machtposition zu spielen, also so zu tun, als würde er jederzeit die eignen Wünsche um der Sache willen in die Warteschlaufe schicken, allzeit bereit, sich fest im Würgegriff eines erfolgreichen Lebens zu halten.

 

Er ist beileibe nicht der Einzige, der mit seinem Tun die Machtfassade beschädigt und natürlich gibt es neben dem Liebesglück auch die verlassene Familie, die verletzte Ehefrau und allerlei fragliche politische Entscheidungen.

 

Er ist weder Held, noch Opfer, einfach ein unglücklich agierender Mann in hoher Position, der vergisst, nach den geltenden Regeln zu spielen. Und vielleicht den Preis dafür wird zahlen müssen.

 

Man könnte es aber auch umkehren und sagen: Was dort gespielt wird, ist nicht normal. Was Männer sich und einander abverlangen und antun, ist und macht krank, nicht nur sie, sondern auch andere. Herrn Scharpings vorgeführte „fröhlichen Augenblicke“(Scharping) scheinen in diesem Pflichtprogramm der Selbstvergessenheit eher Indizien für Gesundheit zu sein.

 

Dass der „lockere Rudi“ nichts anderes als Scharpings unglücklich inszeniertes Kontrastprogramm zum „grauen Aktenhengst“ darstellt, der sich gegen das Image des biederen Langeweilers wehrt, es mag ja sein. Man mag ihn für peinlich und lächerlich halten, aber wenn ich lese, wie andere Herren in gehobenen Positionen Krieg spielen, dann gefällt mir der lockere Rudi mit seinen Liebesspielen eindeutig besser. „Der kalte Krieg ist gewonnen“, steht im Tages Anzeiger vom 10. September, „die spannenden Auseinandersetzungen finden heute in der Wirtschaft statt.“ Make war, not love, heisst auch hier die Devise. Es herrscht ein „Killer-Wettbewerb“, und wie man den gewinnt, lehrt man vom ehemaligen Strategieberater der amerikanischen Armee im Golfkrieg. Wargames als Managementtraining – daran scheint nichts peinlich, gefragt wird nur, ob es auch nützt. Wer dabei mitmacht, gilt als durchaus gesund und mit Realitätssinn ausgestattet. Die Welt ist so. Vernünftig, wer sich damit zu arrangieren weiss und sich erst noch seinen Bonus sichert. Das Traurigste am Ganzen: Die erotischen Eskapaden des Herrn Scharping werden angesichts solcher Clubs von Wirtschaftskriegern beinahe zum subversiven Akt.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2002 / Kolumne NLZ