Eine biologische Bombe

 

Eine biologische Bombe ist eine Waffe, dachte ich, eine gesteigerte Form des Zynismus in der Kriegsführung. Man vermeidet die überflüssige Zerstörung von Brauchbarem wie Häusern, Strassen, Fabriken, Flughäfen, Eisenbahnnetzen und schafft bloss das Störende aus der Welt, die Menschen. Nun gibt es aber nicht nur im Bereich des Zynismus immer wieder Überraschungen und nicht für möglich gehaltene Steigerungsformen; auch im Bereich des Unglaublichen sind immer wieder Lernschritte zu tun. Und so weiss ich inzwischen, dass eine biologische Bombe nicht zwingend etwas mit Pockenviren oder Pestbakterien zu tun hat, sondern auch in Form von Gebärmüttern vorkommen kann.

 

Gebärmütter als biologische Waffen – ihr Sprengstoff: Leben? Man ist vielleicht kurz irritiert, aber nur kurz, denn immerhin ist die Vorstellung nicht neu, seit Jahrzehnten gibt es sie ja schon, die Rede von der Bevölkerungsexplosion – man hat vielleicht bloss vergessen, das Wort beim Wort zu nehmen. Aber auch diese Interpretation greift noch zu kurz. Die Bio-Waffe, um die es hier geht, ist nämlich keine gewöhnliche Gebärmutter, wie sie in jeder Frau natürlicherweise vorkommt, sondern eine künstliche. Und diese „biologische Bombe steht“, nach Jeremy Rifkin, „schon zum Abwurf bereit“. Der „Abwurf“ von Gebärmüttern mag einem zwar auf Anhieb nicht unbedingt einleuchten, aber eines wird doch klar: Diese Gebärmütter werden als äusserst gefährlich eingestuft. An dieser Gebärmutterbombe wird überall gearbeitet, schreibt Rifkin. So zum Beispiel in einem kleinen Forschungslabor in Tokio. Hier ist es bereits gelungen, Ziegenföten zehn Tage lang in einem Plastiktank von der Grösse eines Brotkorbes am Leben zu erhalten. Ihre Nabelschnüre wurden an zwei Maschinen angeschlossen, die statt der Plazenta Blut, Sauerstoff und Nährstoffe zuführten und die Abfallprodukte beseitigten. Zehn Tage in einem Plastiktank, das klingt wirklich toll. Auf jeden Fall ist es eine saubere Sache und eine wunderbare Aussicht nicht nur für Ziegen, sondern auch für Menschen.

 

Wer der inzwischen weitverbreiteten Meinung ist, auch in Sachen Nachwuchs sei nur das Allerbeste gut genug, findet hier erneut den Stoff, aus dem die Träume sind. Man nehme die besten aller Spermien, mixe sie mit den besten aller Eier, wähle aus den anfallenden Embryonen nochmals den Besten aus, beobachte und kontrolliere ihn neun Monate lang und nehme hernach, ohne geburtliche Komplikationen, das perfekte Kind aus seinem Tank. Die stolzen Eltern dürfen natürlich jederzeit vorbei- und reinschauen und ein bisschen mit ihm reden, damit auch das Beziehungsmässige irgendwie zum Zug kommt. Körpernähe wird aufgehoben, aber das Auge kommt dafür vollumfänglich zum Zuge. Nichts bleibt ihm verborgen, und das Elternglück reduziert sich nicht länger auf das Schwarzweiss-Photo eines halben Fusses, den man nur mit viel Phantasie den verwischten Spuren des Ultraschalls entlockt.

 

Diese Lösung wäre natürlich keine Lösung für alle – sie ist zu teuer und zu aufwändig. Aber es gibt ja noch die bereits bestehenden Möglichkeiten der Qualitätssicherung unseres Nachwuchses durch Reagenzglaszeugung oder Gentests. Und nach durchlaufener Qualitätskontrolle wird es sicher auch eine gewöhnliche Gebärmutter in einer gewöhnlichen Frau noch ein paar Jahrzehnte durchaus akzeptabel tun. Dann wird man weitersehen.

 

Das alles ist bis jetzt erst ein Experiment im Anfangsstadium. Und das Unglaubliche daran ist ja nicht das gesetzte Ziel – lasst uns immer unabhängiger vom Menschen Menschen machen –, das Unglaubliche daran ist, wozu das gut sein soll. Aber vielleicht ist es nicht einmal unglaublich, nur folgerichtig. Der Schlusspunkt einer Entwicklung, die lange vorher begann: Mit der Unterbrechung der bis anhin natürlichen Verbindung von Sexualität und Fortpflanzung. Wurde als erstes die Sexualität dank einer Vielzahl von Verhütungsmethoden von der Fortpflanzung entlastet, so wird jetzt, sozusagen in umgekehrter Richtung, die Reproduktion von der Sexualität abgekoppelt. Reproduktion ist ohne Sexualität möglich und, sollte es klappen, braucht es in Zukunft auch für das letzte Refugium des Leibhaftigen, die Schwangerschaft, keinen Körper mehr.

 

Vielleicht geht es ja genau darum bei dieser künstlichen Gebärmutter: um die Abschaffung des Körpers als notwendige Grundlage für die Entstehung neuen Lebens. Und das macht vielleicht auch ihre gefährliche Sprengkraft aus. Man(n) schafft durch diesen Tank gemeinsam mit dem Körper auch das nicht wirklich Kontrollierbare ab und gewissermassen auch die Frauen selbst. Man befreit sich von ihrer Bedeutung bei der Fortpflanzung und befreit sich damit von einem Stück grundlegender Abhängigkeit. Diese misstrauische Interpretation ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Immerhin geisterte während Jahrhunderten die Vorstellung durch Männerköpfe, dass Frauen durchaus überflüssig seien und für alle wichtigen Dinge im Leben der Mann dem Mann genügte, ausser bei der Fortpflanzung. Da kam man leider nicht ohne sie aus. Heute geht das, jedenfalls beinahe. Aber nein, sagen Initiatoren und Bewunderer dieser Entwicklung. Nicht Abschaffung der Bedeutung von Frauen ist hier der forschende Hinter-Sinn, sondern ihre Entlastung! Weibliche Autonomie heisst das hehre Ziel! Schluss mit biologischen Uhren, die ticken, mit unförmigen Bäuchen, körperlichen Beschwerden und schmerzvollen Geburten. Schluss auch mit all den unästhetischen Folgeerscheinungen wie Schwangerschaftsstreifen, schlaffe Bäuche und Brüste. Das muss alles nicht sein. Aufopferungsvollen Forschern sei Dank sollen Frauen nicht länger ihren Gebärmüttern ausgeliefert sein, und ihr Bauch gehörte endlich wieder ihnen allein.

 

Das mag ja tatsächlich eine Bombennachricht sein – im guten Sinne von Entlastung oder auch im schlechten Sinne von Enteignung und Kontrolle. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass viele Frauen sich mit virtuellen Schwangerschaften zufrieden gäben, ist gering. Und auch Frauen, die sich nicht mit ihren Gebärmüttern identifizieren und Kreativität und Selbstrespekt nicht mit Fruchtbarkeit übersetzen, werden vielleicht den Slogan unterschreiben können, den die Jugendbewegung einst prägte: „Ihr alle wollt ja nur unser Bestes, aber das kriegt ihr nicht.“

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2002 / Kolumne NLZ