Die gepuderte Nase der Humanität

 

Kein Tag, an dem man sich nicht an den Kopf greifen oder die Augen reiben möchte. Ist das tatsächlich wahr? Gibt es so was wirklich? So viel Unsinn, so viel Dummheit? Ein amerikanischer Präsident mit Weltführungsanspruch, der keine Ahnung hat, dass es in Brasilien Schwarze gibt. Ein deutscher Bundeskanzler, der sich genötigt fühlt zu beweisen, dass er sich seine Schläfen nicht färbt. (Es soll ja niemand auf die Idee kommen, er könnte auch noch manch Anderes schönfärbend verstecken.) Oder die mit Bewunderung notierte und tatsächlich sehr beeindruckende Botschaft, dass Shawn Fielding sogar in der ägyptischen Hitze ohne einen einzigen Schweisstropfen auf ihrer gepuderten Nase ihren humanitären Aufgaben nachkommt – denn „die ehemalige Schönheitskönigin aus Texas weiss, wie man auch in über dreissig Grad cool aussieht, wenn es der Job verlangt“ (Coop Zeitung). Hiess das nicht früher einmal „bei über dreissig Grad“? Aber was soll’s. Humanitäre Aufgaben jedenfalls tätigt man offenbar am beeindruckendsten mit gepuderter Nase.

 

Besser noch, frau ist nicht nur um die Nase, sondern rundherum schön anzuschaun. Ist das nicht der Fall, dann fehlt dem Humanitären augenscheinlich das gefällig Äusserliche. Unsereins, lese ich in einer Notiz in der Neuen Luzerner Zeitung, kann nämlich gegen eine Angelina Jolie gleich einpacken, weil die bildschöne US-Schauspielerin als Botschafterin des UNO-Flüchtlingshilfswerks nicht nur ein gutes Herz zeigt, sondern auch beweist „dass humanitäres Engagement sexy ist“. Es leuchtet mir zwar nicht ganz ein, wieso aus einem Herz schon ein gutes Herz wird, wenn es, wie Frau Jolie, Kindern Kleider, Lehrmittel und Fussbälle verteilt, aber es fällt mir noch um einiges schwerer, mir vorzustellen, was an einem humanitären Engagement sexy sein soll. Aber wahrscheinlich habe ich einfach keine Ahnung, und es entgeht mir die reizvolle Verbindung von Schönheit und Hilfsbereitschaft, die, mag ja sein, auch manch ein Portemonnaie anschwellen und seine Segnungen ins UNO-Flüchtlingshilfswerk fliessen lässt. Was ja, zugegeben, sicher nicht der schlechteste Ort ist, wohin es sich ergiesst.

 

Man kann dies alles ziemlich banal finden. Und hat natürlich recht. Trotzdem tröpfelt sich Tag für Tag eine Menge solchen Unsinns stetig zu einer ordentlichen Pfütze zusammen, die in unseren Köpfen hin und her schwappt, und man müsste schon ganz gehörig denken, damit der Kopf heiss genug wird, um ihn wieder auszuschwitzen. Das ist ein komplizierter Vorgang und alles in allem ganz schön anstrengend. Aber weil ein Kopf neben vielen anderen sinnvollen Aufgaben doch auch zum Denken gedacht ist, will ein Kopf denken. Und er will auch aus dem Unsinn den Sinn herausgrübeln. Er glaubt an Hintersinn und weiss ja, aus Erfahrung, dass an jeder einzelnen Dummheit ganze Welten hängen. Oder sich dahinter verstecken. Wie auch immer: Die gepuderte Nase und das sexy humanitäre Engagement erscheinen dem misstrauischen Kopf nicht nur als kleine Gedankenlosigkeiten. An der gepuderten Nase, da wittert er nicht allein den Puder, sondern zusätzlich den ganzen Hunger der Kosmetikindustrie, plus die weibliche Pflicht, jedwelche Mängel, die sich aus der Tatsache ergeben, einen Körper zu haben, schonungslos zu bekämpfen. Wenn dieser Körper schon nicht aus glattpoliertem, matt schimmerndem Marmor besteht und auch nicht aus zarter Seide, sondern aus schwitzendem, manchmal auch schlecht riechendem Fleisch, dann muss er sich wenigstens aufs Täuschen verstehen.

 

Vielleicht, denkt sich der ewig misstrauische Kopf, steckt sogar noch mehr dahinter als ein fehlender Schweisstropfen auf der gepuderten Nase: Vielleicht sind ja all diese vollkommenen und gepuderten sexy Wesen, die den zur falschen Zeit am falschen Ort Geborenen ihre regelmässigen humanitären Besuche abstatten, in Wahrheit Botinnen aus einer himmlisch anderen Welt, den Engeln gleich, ausgestattet mit einem Scheinleib, der erst inmitten von Armut und Mangel so recht seine Schönheit entfaltet und das Gute zum Strahlen bringt. Es gehört zu diesen Wesen, dass sie hin- und schnell wieder wegflattern. Ein Hauch nur vom Schönen und Guten, Verheissungen eines fernen Glücks. Nach ein paar Tagen vor Ort hätten auch diese Engelswesen schmutzige Flügel und abgebrochene Fingernägel und das Coolsein nähme ein jämmerlich schwitzendes Ende. Und das humanitäre Engagement verlöre seinen sexy Zauber, seine Engel flögen schnell weiter, und das Engagement, das humanitäre, es bliebe alleine zurück, glanzlos, im alltäglichen Versuch verstrickt, unseren Sicherheitsgürtel der Gleichgültigkeit zu durchbrechen.

 

Die gepuderte Nase ist nicht einfach eine gepuderte Nase, sie ist die Beschönigung einer unschönen Realität – und das ist in der wirklichen Welt nicht eine vor Schweiss glänzende Nase, sondern der beschämende Skandal weltweiter Armut und Zukunftslosigkeit. Sagt der misstrauische Kopf. Aber misstrauisch wie er ist, misstraut er auch sich selbst und weiss nicht, ist besagter Puder auf besagter Nase eine Mücke oder ein Elefant. Auch bei den Schläfen des deutschen Bundeskanzlers, gefärbt oder nicht, ist er sich nicht sicher, nur bei den eklatanten Unkenntnissen des amerikanischen Präsidenten meint er im Dummen zu Recht das Gefährliche zu sehen. Lustig ist daran nichts mehr, auch wenn er sich das Lachen nicht verkneifen kann.

 

Und der Kopf, immer auf der Lauer, süchtig nach Verstehen, hoffend auf Einsicht, versucht weiterhin, in den Unmengen von Unsinn, Widersinn und Dummheit das Richtige vom Falschen zu trennen, das Wichtige vom Unwichtigen, das täuschend Oberflächliche vom ernsthaft Beunruhigenden. Ab und zu gelingt ihm das nicht, und er verbeisst sich in Albernheiten, macht aus Mücken Elefanten und sieht in den gepuderten Nasen nichts als die gnadenlose Welt des schönen Scheins. Ein bisschen enttäuscht von sich, tröstet er sich jedoch immer wieder ein wenig mit der klugen Einsicht von Descartes: „Nichts auf der Welt ist so gerecht verteilt, wie der Verstand. Denn jedermann ist überzeugt, dass er genug davon hat.“

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2002 / Kolumne NLZ