Gut schweizerisch?

 

Die Schweiz, ach ich weiss nicht, gibt es die noch? Wurde die nicht längst verkauft? An irgendeinen Grosskonzern? Aber wahrscheinlich habe ich da etwas falsch verstanden. Den Durchblick zu bewahren, fällt schwer. Viele Schleier wurden gelüftet in den letzten Jahren, undurchsichtig ist doch manches geblieben. Die Schweiz, macht es den Anschein, gibt es nach wie vor. Sie hält sich wacker, als Mythos und Realität. Der Ruf ist zwar seit langem ramponiert, aber nicht der Stolz.

 

Den möchte die Mehrheit nach wie vor beflügelt in die Welt hinaus tragen. Als weisses Kreuz auf rotem Grund. Aber es ist doch auch ein Kreuz mit diesem Schweizer Kreuz. Es soll, gemäss eines Bundesbeschlusses von 1889, „ein aufrechtes, frei stehendes weisses Kreuz“ sein, „dessen unter sich gleiche Arme je einen Sechstel länger als breit sind“. Auch so ein Wappen kann nämlich nicht einfach werden, was es will, wenn es ein Schweizerisches bleiben möchte. Sagen aufrechte, frei stehende Schweizer. Ja, solche Sorgen möchte man einmal haben! Wem es nicht reicht, zuzusehen, wie der Schweiz nicht nur in der Halfpipe die Airs nicht hoch genug gelingen wollen und ihr auch andernorts die Luft abgeschnitten wird, der und die sorge sich gerne auch noch um das aufrechte, frei stehende Schweizerische in gefälschter Wappenform. Die Arme des Firmendesign von Swiss sind nämlich zu lang, sagen empörte Heraldiker, zu schlank, völlig falsch proportioniert.

 

Nein, nichts da mit schlank, mit dem augenfälligen Versprechen, dynamisch zu sein, fit, elegant, weltaufgeschlossen. Das weckte falsche Assoziationen. Deshalb wollen wir auch keine Ovo mehr und kein Isostar. Nur noch Medikamente, denn krank sind wir schliesslich alle.

 

Das Schweizer Kreuz ist kein richtiges Schweizer Kreuz mehr, und die Novartis trennt sich von ihrer Ovomaltine und niemand, der ihr gut zuredete und ihr sagte: "Aber ohne deine Ovomaltine wirst du nie gross und stark werden!" Offenbar haben wir da früher etwas falsch verstanden, als wir sie brav tranken. Oder verwechsle ich da wieder etwas?

 

Das kann nämlich schon passieren. Ich war ja auch lange der Meinung, Bally sei eine Schweizer Schuhmarke und die Toblerone eine Schokolade von Tobler. Das stimmte ja auch einmal, aber das war einmal und ist inzwischen ein Märchen aus alten Zeiten. Die Toblerone, Schweizer Schokoladen-Ikone par excellence, gehört Kraft Jacobs, wie übrigens auch Suchard, und Kraft Jacobs gehört wiederum dem amerikanischen Nahrungsmittel- und Tabakkonzern Philip Morris. Bally gehört Texas Pacific und Texas Pazific interessiert sich gegenwärtig für Gate Gourmet, das weltweit immerhin zweitgrösste Airline-Catering-Unternehmen. Texas Pacific kaufte auch die amerikanische Fluggesellschaft Continental für 66 Millionen Dollar und verkaufte sie fünf Jahre später für 700 Millionen Dollar.

 

Ein gigantisches „Käuferlis- und Verkäuferlis-Spiel“. Und den Spielzügen sind fast keine Grenzen gesetzt. Wer weiss, vielleicht kauft dereinst Philip Morris zu Werbezwecken unser Matterhorn und stellt auf seine Spitze eine rauchende Zigarette. Das wäre doch irgendwie cool und nicht mal völlig aus der Luft gegriffen. Denn Spitzen-Männer an Spitzenpositionen sind ab und zu nicht nur äusserst gewiefte Geldjongleure – sie können es sogar vor unseren Augen wegzaubern in die eignen Taschen–, sie haben manchmal auch ganz lustige Ideen. So erwog beispielsweise Kenneth L. Lay, Firmenchef des inzwischen bankrotten texanischen Energiegiganten Enron, dem neuen Firmensitz, einem Wolkenkratzer in Downtown Houston, eine riesige Sonnenbrille aufzusetzen. Das wäre doch wirklich cool gewesen, passend für das „coolstes Unternehmen der Welt“ (Lay). Vielleicht werden seine Topmanager die Sonnenbrillen jetzt selber aufsetzen, um in Ruhe und inkognito ihre Notgroschen in Millionenhöhe zu geniessen.

 

Apropos Matterhorn. Sind Sie sicher, dass das Matterhorn etwas Schweizerisches ist? Ich nicht, nicht mehr. Ich bin überhaupt nicht mehr sicher, was an der Schweiz eigentlich schweizerisch ist. Das Bündnerfleisch nicht, das kommt aus Lateinamerika. Die Schwingerhosen werden in Pakistan genäht, die St. Galler-Stickerei kommt aus China. Schokolade, eines der Markenzeichen der Schweiz, wird ohne eigene Rohstoffe hergestellt; diese werden eingeführt und hier verarbeitet. Der Enzian, markantes Element der Schweizer Alpenflora, ist aus China und Zentralasien eingewandert. Das Matterhorn im Wallis und die Mythen in Schwyz bestehen aus afrikanischem Gestein. Die Rosskastanie wurde im 16. Jh. aus der Türkei eingeführt. Die Heimat der Kirschen und Zwetschgen liegt in Kleinasien, Aprikosen und Pfirsiche stammen aus China, und, oh Schreck, unsere vielgeliebten Geranien, sie kommen aus Südafrika. Und das ist noch nicht alles. Indirekt orientiert sich der schweizerische Staatsaufbau am Föderalismus der Irokesen. Der Irokesen! Unserer Verfassung von 1848 nahm sich das amerikanische Grundgesetz von 1787 zum Vorbild, das sich seinerseits am indianischen Staatenbund orientierte. (So gelesen in Richard Gersters Buch Globalisierung und Gerechtigkeit, Bern 2001).

 

Ja, worauf genau soll man eigentlich stolz sein? Man könnte es vielleicht mit: „Teilhabe an der Welt“ versuchen. Mit Lernfähigkeit, Offenheit. Mit Wissen um Abhängigkeit und dem Willen, trotzdem die Regeln mitzubestimmen. Wir haben schliesslich gute, erprobte und nützliche Instrumente in unserem Gepäck. Und ansonsten hilft Gelassenheit. Was soll’s auch. Die weite nichtschweizerische Welt hat seit langem schon ihren Wohnsitz in der Schweiz. Und das ist auch gut so. Nur etwas kann einem dieser Tage schon ein bisschen wurmen: Da horten oder stehlen wir für einmal nicht Gold, sondern gewinnen es, und was passiert: Man macht aus unserem hochfliegenden Toggenburger Bauernsohn flugs den Engländer Harry Potter.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2002 / Kolumne NLZ