Die Geheimnisse des Erfolges

 

„Jeder von uns ist auf der Suche nach Glück und Erfolg. Nicht jeder findet sie. Aber die Karten werden im 21. Jahrhundert neu verteilt.“ So steht es geschrieben. Auf der Rückseite eines Buches mit dem vielversprechenden Titel „Ver-rückte Zeiten. Die neuen Rollen im Welttheater des 21. Jahrhunderts“, verfasst von Sonja A. Buholzer, einer promovierten Philosophin und Inhaberin einer Zürcher Wirtschafts- und Unternehmensberatung.

 

Die Frau scheint etwas zu wissen, was ich nicht weiss. Das macht mich neugierig. „Die Karten werden neu verteilt.“ Interessant! Sehr interessant. Wer verteilt sie? Bekomme ich auch eine? Und was muss ich tun, damit ich sie kriege? Was kostet sie mich? Und werde ich mitspielen oder bloss zuschauen? Dann ein erstes kleines Stolpern. Auf der Rückseite des Buches wird mir versprochen, dass die „Gegenwart uns Bilder zeigt, wie sie dynamischer nicht sein können“ und die „Lebensrollen zwischen Frau und Mann“ neu festgelegt werden und dass mir Frau Buholzer in 18 Akten darlegen wird, wie ich mich im Welttheater des 21. Jahrhunderts zurechtfinden kann. Aber wenn ich das Buch aufschlage werde ich mit der einigermassen widersprüchlichen Tatsache konfrontiert, dass ich an der Abendkasse anstehen muss, um eine Karte zu kriegen.

 

Ein eigenartiges Theater. Ich soll mitspielen und muss trotzdem eine Karte kaufen? Und wieso erst am Abend? Und gibt es dann noch Karten? Aber vielleicht gehört das ja schon zum Stück. Bilder sollte man nicht zu wörtlich nehmen. Gut. Und immerhin ist ja etwas trotzdem wahr: Immerzu sind wir gleichzeitig Akteur/innen und Zuschauer/innen, unser Leben hat immer Premiere, wir sagen den Text auf, während wir ihn eben lernen, und wir schauen uns dabei zu, kommentieren, kritisieren, applaudieren und manchmal buhen wir uns aus.

 

Die Lebensrollen zwischen Frauen und Männern werden neu verteilt. Das klingt verheissungsvoll. Und das hat alles schon begonnen, schreibt die Autorin. Sie zählt sie uns auf, die Errungenschaften der Frauenpower des 20. Jahrhunderts: Weitgehende ökonomische Unabhängigkeit, Markt-, Bildungs- und Führungsmacht. Die Frauen der westlichen Welt sind auf Erfolgskurs, und die einen laufen bereits ein in den Hafen der neuen besseren Welt, in der es starke Frauen gibt, die sich mit starken Männern verbinden, die keine Angst haben vor starken Frauen. Das klingt erfreulich. Das ganze Buch ist voller Optimismus und der ist hochgradig ansteckend. Sätze wie „Funktionierende Erfolgsstrategien für die Menschheit verlangen stets die Mitführerschaft von Frauen“ (31), „Wer Frauen klein macht, hat verloren“ (ebd.) oder „Wir werden einen Weg finden. Und wenn wir keinen finden, dann bauen wir einen (Hannibal)“ (29) sind beinahe schwindelerregend. So hoch oben sind wir schon? Und merken es nicht mal?

 

Aber ein bisschen komplizierter ist das natürlich schon. Im Welttheater des 21. Jahrhunderts spielt niemand so ohne weiteres eine Hauptrolle, Frauen nicht und Männer auch nicht. Es braucht dazu harte Arbeit, Denken, Träumen, Lieben, Reifen, die ganze Summe eben, die sich zusammensetzt aus IQ, EQ (emotionale Intelligenz) und SQ (spirituelle Intelligenz), denn ohne Sinn macht das Ganze keinen Sinn. Wer dabei zur charismatischen Persönlichkeit, zur „Ich-Marke“ reift, Herz- und Seeleninnenräume pflegt, ein „feines Gefühl“ (53) hat für persönliches Wachstum und das Wachstum aller Lebewesen, hat das Ziel erreicht: den WQ, den Weisheitsquotienten.

 

Schritt für Schritt, in 18 Akten, wird es uns aufgezeigt, das Geheimnis des Erfolges, der sich nicht einfach in Geld und Positionsmacht misst, sondern in Persönlichkeit. Echte Menschen, keine Mogelpackungen und Attrappen, sollen im 21. Jahrhundert massgeblich die Geschicke auf dieser Weltbühne prägen. Echte Menschen, die ihr Tun ethisch verantworten, die sich wie anständige Gäste auf diesem Planeten benehmen, der ihnen nicht gehört, die „ihr Bestes dafür geben, ein würdevoller und Sinn stiftender, verantwortungsvoller und dieser Welt Wärme schenkender Gast auf Zeit zu sein“(15).

 

Das klingt alles so schön, so plausibel. Die notwendige Verbindung von Vernunft und Mystik, Erfolg und Bescheidenheit, strategischem Denken und Mitgefühl. Und es ist erreichbar! Man muss nur wollen. Nach dem Motto: Klare Ziele ergeben klare Ergebnisse. Wie ein Apfelkuchen nach einem Rezept von Betty Bossi. Man kann eigentlich nicht mehr viel falsch machen. Die Zutaten sind schmackhaft und minutiös aufgelistet, das Ziel definiert, der Weg dazu Punkt für Punkt, aufgezeichnet, etwa so: „Die 15 Punkte des erfolgreichen Lebens zusammengefasst“ (110) oder „Die 21 Schlüsselfragen für zeitgemässe Lebensabschnittpartnerschaften“ (166).

 

Es gibt nichts einzuwenden. Die Punkte machen Sinn, die Fragen sind gut. Wieso habe ich trotzdem keine richtige Lust auf Kuchenbacken? Vielleicht bin ich einfach zu faul?

 

Immerhin wird mir Lust auf Zukunft gemacht. Immerhin wird hier Erfolg mit Menschenfreundlichkeit verbunden. In diesem Buch steckt zweifellos eine Menge Wissen, Erfahrung und Klugheit. Vieles lohnt, darüber nachzudenken, vieles lohnt, es sich zu Herzen zu nehmen. Nur der Kopf sträubt sich. Der will das alles nicht so recht glauben. Dem ist das alles zu glatt. Lauter Leben wie gebohnertes Parkett, zu wenig Staub und Dreck. Nirgends Löcher und wenn, dann sind sie bloss dazu da, die Ärmel hochzukrempeln und sich zu sagen: Packen wir es an. Wo ein Ziel ist, ist eine Lösung. „Den Menschen gehört die Zukunft, die sie machen. Mit aller Verantwortung und Ethik, die dazugehört“ (215). Eigentlich kann gar nichts schief gehen. Die eignen Träume leben, stark sein, wahrhaftig. „Jetzt sind sie dran!“(217) Das 21. Jahrhundert lebt „zuerst von den Drehbüchern und dann ? von den Erfolgsmeldungen jener Menschen, die sie lesen und sich von ihnen inspirieren und zu Taten motivieren lassen“ (217). Man kann nur hoffen, dass die Drehbücher wirklich gut sind und all die vielbeschworenen starken und guten Frauen und die starken und guten Männer, die sich zu starken und guten Teams zusammenfügen, halten, was versprochen wird: Neue Rollen zu spielen.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2002 / Kolumne NLZ