Aufgeblasen

 

Die amerikanischen Präsidentschaftswahlen sind vorbei. Schön. Und was interessiert uns das? Die politischen Folgen dürften minimal sein, heisst es. Dem tatsächlichen Zentrum der Macht ist so ein Präsident Hans was Heiri respektive Bill was George.

 

Was aber immerhin als Erkenntnisgewinn winkt: Wir wissen jetzt, dass Löcher nicht eine Menge Nichts sind, sondern sich zu einem Präsidenten summieren können. Und wir haben lernen dürfen, dass Mittelmass und Beschränktheit keine biografischen Mangelpunkte sind, sondern gewisse Vorteile versprechen: Man kann auch mit bescheidenem Sprachvermögen und fehlerhafter Grammatik Präsident der Vereinigten Staaten werden.

 

Nun, uns sind solche Karriereschritte verwehrt. Aber vielleicht müssen wir ein paar Grundvoraussetzungen überdenken, die wir bisher in beispielloser Naivität und Unkenntnis der Dinge zu verwenden pflegten. Die Vorstellung etwa, es brauche für aussergewöhnliche Positionen aussergewöhnliche Fähigkeiten. Oder andersherum: die Tatsache, dass jemand Spitzenpositionen erreicht, sei Ausdruck herausragender Leistungen und überdurchschnittlicher Intelligenz. Sogar alltägliche Redewendungen wie „aus dir wird nie etwas, wenn du dich in der Schule nicht mehr anstrengst“ sind inzwischen nicht nur aus pädagogischen Gründen völlig fehl am Platz. Man kann es auf diese Weise, zumindest theoretisch, bis zu einem Präsidentenposten bringen.

 

Intelligenz, Bildung, ein breiter Horizont und das, was man einst Kultiviertheit nannte – auf dem Weg nach oben erfreuliche Zugaben, aber nicht eigentlich Pflicht. Schlauheit genügt, ebenso Ehrgeiz, strategisches Geschick, Beziehungen und der Wille zur Macht. Auch das Geschlecht, in der Regel das männliche, ist ein guter Joker in diesem Spiel um die Macht. Männer haben hier noch immer Heimvorteil. Sie lernen das Spiel früher, sie lernen es besser und vor allem schneller, und sie knabbern schon an den stärkenden Vorschusslorbeeren, wenn Frauen noch Kosmos mit Kosmetik verwechseln.

 

Nun fällt Macht natürlich niemandem in den Schoss, und schlussendlich kommt sie auch nicht von dort, nicht mal bei Männern.

 

Aber man fragt sich dann doch: wie kommt es, dass so viel mehr Männer als Frauen den Aufstieg bis ganz zuoberst schaffen, während so viel mehr Frauen als Männer bereits weit unten oder in der Mitte stecken bleiben, nicht weiterkommen, aufgeben? Oder gar nicht weiter wollen, ganz zufrieden die Aussicht von der Mittelstation geniessen?

 

Erklärungen gibt es viele – freundliche und weniger freundliche. Die freundliche Version lautet:

 

Frauen kennen die Regeln für den Aufstieg nicht, es mangelt ihnen an Strategien, sie verzichten zu schnell auf Chancen, neigen zum Perfektionismus, setzen andere Prioritäten, verlangen mehr an Lebensqualität oder sind weniger risikofreudig.

 

Die unfreundlichere Version: Frauen mangelt es an Ehrgeiz, sie sind nicht bereit, sich voll einzusetzen, sie fürchten sich vor Verantwortung und sind zu empfindlich. Mag sein, es ist bei allem etwas Wahres dran. Aber das hilft nicht weiter. Genauso wenig wie die lange gepflegte Vorstellung, Frauen seien einfach zu gut für diese böse kalte Welt der Chefetagen und Verwaltungsratssessel. Sie holen inzwischen ja auf, lernen das Spiel mitsamt Zynismus, Intrigen und Selbstgefälligkeit und sehen ein: Mitspielen und gleichzeitig die Regeln des Spieles ändern, das funktioniert nicht.

 

Von Ausnahmen einmal abgesehen – viele Frauen wollen nicht wahrhaben, dass dieses ganze Getriebe und Gewusel rund um Positionen, Macht, Einfluss und Karriere tatsächlich in vielem einem Spiel gleicht und dass der vielbeschworene Ernst des Lebens darin besteht, dieses Spiel richtig zu spielen. Sie wollen glauben, es gehe hier um Fähigkeiten und ein Können, das ganz der Sache verpflichtet ist und übersehen, dass alle Fähigkeiten nichts nützen, wenn nicht ein Ego hinzukommt, das sich in Szene zu setzen weiss. Man muss nicht nichts können, um den Aufstieg zu schaffen, aber man muss aus dem, was man kann, das Doppelte an Wirkung herausholen. Das ist auch eine Leistung. Und meistens funktioniert es und wird honoriert.

 

Einige Frauen spielen mit, vielen ist das zu blöd. Auch Männern natürlich, die sich nicht aufzublasen wissen zur Vorstellung: Ich, kein Gott, aber wer ist mehr?

 

Manchmal wünschte man sich, das alles sei bloss ein Traum und man brauche nur die Augen zu reiben und würde endlich aufwachen und sähe die Schaltstellen des Weltgetriebes besetzt mit lauter vernünftigen, besonnenen und einigermassen kenntnisreichen Männern und Frauen. Endlich keine dummen Spiele mehr, keine gemeinen Tricks und versteckten Fallen und ganz gewiss keine aufgeblasenen Herren, die in dezenten Anzügen schäbige Dinge tun und keine schicken Damen, die ihnen trotzdem voll Entzücken applaudieren. Man riebe sich die Augen und es verschwänden auch die tüchtigen Frauen, die mit ausgreifenden Schritten an die Spitze eilen und mit den gleichen Worten die gleichen Messerchen schleifen, nur bunter verpackt.

 

Aber das Aufwachen verzögert sich und George Bush bleibt Präsident und die Vermutung wächst: Es gibt Menschen mit und Menschen ohne Aufblasventil. Die ersteren sind künstlich gemacht, die letzteren natürlich gewachsen.

 

Silvia Strahm Bernet

 

 

© Silvia Strahm 2001 / Kolumne NLZ