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Worte, die stützen
Es gibt Verständigungsworte, Schlagworte, Schmeichelworte, Messerworte, Traumworte, Anerkennungsworte, Vernichtungsworte, Streichel- und Ohrfeigenworte, für fast alles gibt es ein Wort.
Worte sind Kompensationen – die Vorstellung ist nicht neu. Der Mensch, kein Tier (mehr), schafft zum Ausgleich seiner Benachteiligung Kultur. Die Sprache ist ein Teil davon, ist Ersatz, eine Form menschlicher "Schadloshaltung" für fehlenden Instinkt. Sie ist Verständigungsinstrument mit vielen Tücken: Was sie sagt, ist nicht unbedingt wahr; was sie ausspricht, ist nicht unbedingt das, was sie tatsächlich sagt; was sie beschreibt, nicht unbedingt die Wirklichkeit, und was sie will, nicht unbedingt unser aller Wohl. Zweischneidig ist sie – ein Messer zum Kochen für den gemeinsamen Tisch, ein Messer für den Mord.
Worte, die stützen, den Menschen zu geben – das Kompensationsprogramm eines Dichters. Worte, die stützen, die halten, die gehen helfen: Krücken, um nicht umzufallen. So lakonisch beschreibt es der kürzlich verstorbene israelische Dichter Jehuda Amichai. So einfach, wie es klingt, kann es nicht sein in einer Welt, in der es mehr Worte als Verstand gibt und mehr Bücher als Zeit, sie zu lesen.
Ich habe keine Zeit, habe anderes zu tun, aber nichts besseres. Angelockt durch ein paar Gedichtzeilen aus dem Nachruf auf Amichai, bereue ich es, zu viel Zeit mit den falschen Worten vergeudet zu haben.
"An
dem Ort, an dem wir recht haben
Wie liesse sich besser sagen, dass recht haben keine Lösung ist? Nicht nur in Jerusalem und für niemanden, mögen auch alle recht haben?
Ich lese, gierig, Seite um Seite, die Geschenke eines sehr lebendigen Toten, der seine Geschenke abgegeben und gegangen ist – die Gastgeber schienen ihm müde geworden und ungeduldig:
"Ich
bin ein Gast in diesem Leben, doch ich sehe, (aus dem Gedichtband: "Wie schön sind deine Zelte, Jakob", 1988)
So lebt nicht ein jeder, so stirbt nicht eine jede.
Amichai, mit 11 Jahren aus Deutschland nach Palästina emigriert, hat gekämpft in fünf Kriegen, naiv ist er nicht. In seinem Gedicht "Was habe ich in den Kriegen gelernt", beschreibt er die lebenslangen Folgen: allein sein, Gott schreien, ohne zu glauben, den Rückzug zu sichern, immer die kleine Tür sehen, auf der in roten Lettern "Ausgang" steht, und nicht zuletzt die Kunst der Tarnung:
"Und
wenn ich ein Prophet wäre, (aus dem Gedichtband: "Auch eine Faust war einmal eine offene Hand", 1994)
Ich lese seine Gedichte, von der Liebe und gegen den Krieg, es ist nicht meine Liebe, nicht mein Krieg, und die Worte verfangen sich doch: "Schade, wir waren eine gute Erfindung" heisst eines seiner Liebesgedichte,
"Sie
amputierten deine Schenkel von meinen Hüften ...
Gerne hätte ich mehr von ihm gelesen. Worte, so genau, sogar wenn sie von Dingen erzählen, die ich nicht kenne. Trotzdem weiss ich nachher mehr.
Den Menschen Worte zu geben, die stützen, so beschreibt Amichai die Aufgabe des Dichters. Worte, die stützen, nicht weil sie Mangel durch Täuschung kompensieren, sondern weil sie die uralte Magie beherrschen: Was ist, zu fassen, und ihm gleichzeitig sein Geheimnis zu lassen. Man kann beim Lesen von Gedichten durchaus verzaubert werden und gleichzeitig wacher, schwerer und leichter zugleich:
"Wie
Gipfelstürmer, die ein Basislager errichten
Silvia Strahm Bernet
© Silvia Strahm 2000 / Kolumne NLZ |
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